Parallelgeschichten
Spiegel allein war, hatte sie reichlich Gelegenheit, den Tick zu studieren, auszuprobieren, was man mit ihm oder gegen ihn anfangen, wie man diese kleine professionelle Niederlage möglichst vertuschen konnte.
Das Fleisch selbst ist das Fremde, sagte sie leise. Auch wenn sie mit den Gedanken wieder ganz woanders war.
Mária konnte gar nicht ahnen, wie sehr alles, was Irma laut aussprach, mit dem zusammenhing, worüber diese bei sich nachsann. In dieser Hinsicht haben die Menschen meistens keine Ahnung voneinander.
Mit der schweißnass glänzenden, knotigen Rückenmuskulatur jenes fremden Mannes, mit der sich windenden Furche seines Rückgrats, mit seinem starken, bis zum Anus offenen, in sachten Stößen versunkenen, vor Anspannung an beiden Schenkelansätzen eingebuchteten und überraschend runden Hintern, mit seinen gespreizten Schenkeln, seinen harten, glitschig aufblitzenden Hoden war sie beschäftigt.
Er hatte den Kopf für einen kurzen Augenblick über die deutlich gezeichnete Schulter zurückgedreht, um zu sehen, wer ihn da ertappte.
Das wäre an sich nicht so interessant, dass der Mensch das einzige Lebewesen ist, dessen Denken und Benehmen vom dauernden Wunsch nach Kopulation durchdrungen ist, mit sämtlichen daran haftenden Phatasien, dachte sie, darüber sann sie nach, während sie mit ihrer Freundin über etwas ganz anderes plauderte und dieses Bild deutlich vor ihr erschien und nicht von der Stelle wich, interessant ist vielmehr, dass für den Menschen Bild, Phantasie oder Erinnerung wahrscheinlich viel wichtiger sind als der Akt selbst. Dieses Phänomen macht deutlich, wie wenig der reale Akt individualisierbar ist. Das ist die Schicksalswende.
Ein jeder strebt danach, den Geschlechtsakt zu etwas Individuellem zu machen, sonst käme er nicht zur vollen Lust, und ein jeder erleidet damit eine Schlappe, denn der Akt selbst existiert ja nur in der Gegenseitigkeit. Wenn er zu genügend gemeinsamer Lust kommt, dann findet er im Akt seine eigene Person nicht mehr, sucht er im Gegenteil das Persönliche, läuft er auf der Persönlichkeit des andern auf, und die Lust wird bruchstückhaft oder unbefriedigend.
Diese Suche wird also nicht allein vom Instinkt gelenkt, sondern vom Bedürfnis nach Individuation, und mindestens ebenso von der damit einhergehenden Niederlage.
Dann muss man ein Haus weiter, vielleicht gelingt die Individuation mit jemand anderem.
In dieser Frage täuschen sich die Religionen und Mythologien überhaupt nicht, fuhr sie laut fort, dein eigenes Fleisch ist unpersönlich, nur die Vorstellung ist persönlich. Auch wenn ich ehrlich gesagt nicht verstehe, wie du dich an diesem stupiden Glas so tief hast schneiden können.
Fällt mir gar nicht ein hinzuschauen, lass mich in Ruhe.
Könntest du aber ohne weiteres, sagte Irma sichtlich genussvoll. Es gibt hässliche Wunden, die aber ist schön, eine ausgesprochen wohlgelungene Wunde.
Ich glaub’s dir.
Jetzt tut sie bestimmt noch nicht weh, später wird sie stechen.
Entschuldige, wir müssen zu Elisa hinein, ich habe sie bestimmt erschreckt mit dem fürchterlichen Geschepper. Sie wird so lange wimmern, bis ich ihr ein paar Tritte in den Hintern gebe.
Halt’s noch ein bisschen fest.
Das fühlt sich zu eng an.
Ach wo, das ist schon recht.
Beide erhoben sich gleichzeitig, um der unberechenbaren Annäherung ein Ende zu setzen.
Mária hätte den Vorsatz am liebsten gleich wieder aufgegeben, obwohl sie gerade damit gekommen war.
Irmuschlein, ich möchte dich etwas fragen, sagte sie plötzlich und errötete auf eine wirklich nicht zu ihr passende Art.
Lass hören, und dann erzähle auch ich etwas, das ich nicht für mich behalten kann.
Etwas, worüber man üblicherweise nicht gern redet, wonach man nicht fragt. Bloß habe ich es einfach auf der Zunge.
Bevor sie es aussprach, blitzte ihr durch den Kopf, dass es der Moment wäre, Erna Deméns Bitte an Irma heranzutragen.
Jetzt wäre es günstig.
Warum wolltest du nicht, sagte sie laut und unterdrückte damit den anderen Satz, warum hast du nicht zugelassen, dass sie dich mitnahmen, woher schon wieder, ich habe es vergessen, sag rasch den Namen der Stadt. Also, wieso bist du eigentlich nach Hause zurückgekommen, das würde ich gern wissen, wieso zum Kuckuck bist du nicht mit ihnen gegangen.
Was suchst du hier.
Könntest du das sagen.
Irma brauchte einen Augenblick, um Luft zu holen und sich zu erinnern.
Ja, warum wohl.
Aber warum fragst du so idiotisch.
Die Frage war wie ein
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