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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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antworten, und das tat weh.
    Sie ließ sie gehen.
    Ich frage ja nur, sagte sie leise, weil ich zwei verschiedene Antworten habe.
    Dann sag bitte zuerst die erste, und dann sag die zweite.
    Nein, du wirst lachen, ich habe noch eine dritte Antwort, genau.
    Und als sie auch das gesagt hatte, verschwand jetzt zum ersten Mal das säuerliche Lächeln von ihren Lippen.
    Über ihren Mund lief ein schmerzliches Zittern.
    Diese schwedischen Schwestern, weißt du, waren nicht sehr nett. Oder man mag es nicht, dass das eigene Scheißleben so sehr von anderen abhängt. Und dann hätten sie mich genau in die entgegengesetzte Richtung mitgenommen. Auch das. So ein primitiver Widerstand, nichts anderes. In der großen Freiheit wird in einem der selbständige Wille wiedergeboren und das Gefühl, man verfüge über sich selbst, und man mag diese schwedischen Schwestern nicht mehr sehen. Man gibt ihnen die Schuld, dass man nicht stehen kann. Gerade jetzt soll ich abkratzen, gerade wegen denen da, wo ich doch fast davongekommen bin.
    Im Nachhinein muss man schon sagen, dass sie eine unmögliche Aufgabe hatten, oh ja. Es gab Wundbrand, Vereiterungen, ganze Gliedmaßen verrotteten am lebendigen Leib, das war schon happig. Je wärmer es wurde, umso unerträglicher der Gestank. Wasser gab es kaum, weit und breit kein Chirurg, manchmal wochenlang nicht, und auch keine Instrumente. Fürs Holzhacken holten sie sich hin und wieder Soldaten, die Nächte waren entsetzlich kalt, oder Kriegsgefangene, unter ihnen auch Ungarn, aber manchmal mussten sie es doch selber tun. Das waren alles in allem wackere, mittelständische schwedische Frauen, die wahrscheinlich keinen blassen Dunst gehabt hatten, wohin es sie verschlagen würde. Und es war auch irgendwie eine kalte Gereiztheit in ihnen. Vielleicht eine Wirkung der Umstände, ich weiß es nicht. Die Baracke, in der wir lagen, hatte ein ganz kleines Fenster, mir gegenüber, und ich sah aus dem Dunkel heraus, wie hoffnungslos draußen die Sonne schien.
    Aber es war doch Frühling, warum sagst du das.
    Sie schien auf eine aussichtslose Art. Du wachst immer wieder auf, schläfst wieder ein.
    Und auch nachts schien die Sonne, aber das war der Mond.
    Ich weiß nicht, ob du das bemerkt hast, aber bei uns ist die Frühlingssonne immer so nackt, ja, nackt, ich kann es nicht anders sagen.
    Du wirst gleich verstehen, warum ich das erzähle.
    Es gibt solche Frühlingswochen, und andernorts ist das nicht so.
    Ich rede etwas unzusammenhängend, entschuldige, ich wollte eigentlich nur erzählen, dass andernorts der Frühling vom ersten Augenblick an etwas Strahlendes hat.
    Bei uns hingegen nicht, hier ist so ein Schleier.
    Als ich dann zum ersten Mal ins Freie konnte, sah ich, wir sind ja in den Bergen, und hier ist es gar nicht so. Das Barackenfenster war staubig, verstehst du, sagte sie unsicher, aber Márias Gesichtszüge blieben reglos.
    Wie sollte sie es ihr dann erklären.
    Ich rede vom Vorfrühling, sagte sie fast verzweifelt, wenn die Knospen noch nicht aufgegangen sind. Und stell dir vor, das Erste war, dass ich das Fenster putzte.
    Auch in Wien ist die Sonne so müde und hoffnungslos, auch dort siehst du, dass der Winter alles vernichtet hat. Andernorts ist das nicht so, denn es gibt keine so lange trocken kalte Perioden. Ich dachte, und das ist meine dritte Antwort, obwohl es merkwürdig ist, sehr merkwürdig, dass es erst die dritte ist. Man kommt nur langsam zu sich. Die beiden Jungen, dass ich sie irgendwo finden muss. Als lägen sie vor dem Haus und man müsste sie ermahnen aufzustehen, weil die Erde noch kalt ist. Als würde ich mich an nichts erinnern.
    Glaub mir, jemand anderem würde ich das nicht erzählen, so etwas darf man nicht aussprechen.
    Ich wusste schon, dass sie nicht mehr da waren.
    Der große Unterschied ist der, dass der Frühling im Gebirge gleich so frisch wirkt. Ich würde sagen, dass das eine Art festes und sicheres Wissen um den Zustand der Welt war. Es klingt ziemlich lächerlich, es ist ziemlich riskant, so etwas auszusprechen, doch wenn ein Mensch nicht mehr da ist, verändert sich der Zustand der Welt. Hingegen war es nicht ganz so unvorstellbar, dass ich Andor zu Hause finden würde.
    Und ich wollte es einfach nicht glauben, dass sie nicht mehr da waren.
    Ich verstehe.
    Doch das ist bloß die Logik der Dinge.
    Jetzt verstehe ich, bisher habe ich es nie ganz verstanden.
    Ganz wohl nicht, aber zu einem Teil kannst du es schon verstehen. Stell es dir nicht so vor, dass du dich

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