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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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dass in allen das gleiche Blut fließt.
    Na ja, in dir natürlich nicht, du bist die große blaublütige Ausnahme. Und doch, denk mal nach, fuhr sie fort, wobei das säuerliche Lächeln nicht von ihren Lippen wich. Dein Blut hat einen Typ, eine Beschaffenheit, aber trotz Typ und individueller Beschaffenheit hat es keinen speziellen Geschmack. Bókay ließ Andors Jahrgang immer wieder davon kosten, eine ziemlich haarsträubende Idee, aber was soll’s, damals hatte man eben noch andere Vorstellungen von Hygiene. Blut ist ein ganz besondrer Saft, jedenfalls etwas, das nicht zu deiner Eigenheit gehört, sondern gerade umgekehrt, du mit deiner großartigen Eigenheit gehörst zu ihm, weil du zu den Warmblütern gehörst, um es gepflegt auszudrücken. Das ist ärgerlich und verletzend. Wozu dann die vielen selbständigen, unabhängigen Gedanken, und unsere ganze berühmte Individualität. Dann bist auch du Teil dieser Horde, und dann können ja auch die Vizehauswarte und Diktatoren kommen.
    Damit setzte sie sich auf den Badewannenrand zurück und griff wieder nach dem verletzten Finger an Márias starker Hand, hob ihn vorsichtig hoch.
    Du weißt genau, dass ich mit so konzentrierten anthropologischen Betrachtungen nichts anfangen kann, erwiderte Mária rasch, denn diese Diktatoren waren gefährlich, die würden Irma wieder auf ihr Thema bringen.
    Sie zuckte dazu ein wenig mit den Achseln, als wolle sie dennoch signalisieren, sie sei sich über die moralische Fragwürdigkeit einer solchen Distanzierung im Klaren.
    Meinetwegen können sie kommen und gehen. Für mich ist da eine gegebene Oberfläche, und wenn ich etwas will, muss ich eher von außen nach innen streben. Oder auch nach unten, nach oben, in die Hölle, zu den Engeln, irgendwohin.
    Du hingegen machst es konsequent umgekehrt.
    Ich kann nicht davon ausgehen, dass der Mensch einen Charakter oder irgendwelche Eigenschaften hat. Ich muss seiner Gestalt folgen, für mich ist das seine einzige Eigenschaft, seine Oberfläche, seine Krümmungen, seine Glieder, seine Wölbungen. Da ist nur Fleisch, Fleisch und Form. Höchstens unterwegs stellt sich heraus, dass er etwas hat, woran man sich halten kann. Zum Beispiel etwas Regelmäßiges in seinem Benehmen, eine Beständigkeit, die ihn immer wieder zu einer Bewegung, zu einem Satz zurückkehren lässt. Doch das ist eher selten. In anderen Fällen stellt sich heraus, dass sein Benehmen keinerlei Systematik hat, und dann ist das charakteristisch für ihn. Deswegen sind die Menschen flexibel, weißt du. Was immer geschieht, sie müssen anpassungsfähig bleiben.
    Nichts kann sie zwingen, oder jedenfalls spüren sie keinen moralischen Zwang. So entsteht ihr glückliches Chaos. Mach du nicht so große Augen, es ist so, ganz allgemein. Du redest, als sei alles schon im Voraus festgelegt, und man könnte es ordnen. Nichts ist festgelegt.
    Nein, nein, gewöhnlich rede ich von zwei Dingen gleichzeitig, aber man pflegt nur das eine zu hören.
    Zwei gleichzeitig sind auch mir zu viel.
    Auch dein Monolog ist dir vielleicht zu viel, so schön er ist.
    Hin und wieder waren sie doch ein bisschen betupft.
    Sie beobachteten auf der Augenoberfläche der anderen etwas, das irgendwie nichts Persönliches hatte, auch wenn es nicht unpersönlich war.
    Dieses auf den Augenbällen gespiegelte Lampenlicht.
    Das öffnete beiden einen Ausweg, Mária konnte aufhören, beleidigt zu sein, und beide konnten hinter der Tür Elisas seltsames, rhythmisch wiederholtes Wimmern hören. Ihre Gespräche hatten nie etwas Abschließendes, und vielleicht waren sie gerade deswegen so stark miteinander verbunden.
    Was sie zusammenhielt, war der einander geschenkte Augenblick, und es gab eigentlich keine Erklärung dafür, warum sie das Leben nicht miteinander verbrachten.
    Warum mussten sie sich immer wieder trennen.
    Schau doch dahinein, bitte, fuhr Frau Szemző mit ihrer gleichmütigen, leidenschaftslosen Stimme fort.
    Du wirst verstehen, wovon ich rede.
    Doch sie war es, die sich aus einem unnennbaren Schamgefühl zuerst von den weit offenen Augen der anderen abwenden musste. Sie wollte die nebenan wimmernde Elisa nicht mit Mária betrügen, nicht einmal symbolisch.
    Und wenn sie schon ihren Blick von den glänzenden Reflexionen in Márias Augen abwenden musste, sah sie wenigstens wieder in deren offenes Fleisch hinein.
    Beim Reden zitterte ihr Kopf immer leicht, ein Tick, dem sie aber keinen freien Lauf ließ. Das war etwas Heikles, Unbequemes. Wenn sie vor dem

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