Parallelgeschichten
vermied den Blick auf die Uhr, obwohl es ihn zum Gehen drängte, vermied ihn nicht etwa, damit nichts mehr geschah, damit ihn der Riese nicht verführte, sondern weil ihn eine Art Zeitlosigkeit drängte.
Rasch weg hier, und lieber gleich ein Ende machen.
Er war mit sich ins Reine gekommen, länger würde er nicht warten. In diesem anderen Leben war es sowieso ratsam, vom Vergehen der Zeit keine Kenntnis zu nehmen.
Das waren die Nächte, die mit keiner Dämmerung endeten, da kein Morgen kam.
Das andere Ufer
Bitte schlag mir jetzt keine Wurzeln, sagte Mária Szapáry in die Stille hinein und nahm Irma Arnót das Glas aus der Hand. Du bist heute dran mit Abheben.
Elisa in ihrem Rollstuhl verstummte, und auch Médi begriff Márias strenge Ermahnung. Sich zusammenreißen. Sie begann wild nach ihren Haarnadeln zu suchen. Zuerst in ihrem schwer herunterhängenden Haar, dann in den Spalten und Falten des Ledersofas, blind mit den Fingern tastend. In der Stille raschelte auch Izabellas Seidenkleid, bevor sie aus dem Zimmer ging, ließ sie sich, den Kopf mädchenhaft schräg gelegt, beiläufig von der Schwelle her vernehmen. Während ich den Lappen hole, wird Médilein wenigstens Zeit haben, sich bei Mária zu entschuldigen.
Tout de suite,
sagte sie drohend,
et pas d’histoires.
Klar, tu ich, sofort, wenn’s sein muss, erwiderte Margit Huber beinahe gleichgültig und klemmte sich die herausgeklaubten Haarnadeln einzeln zwischen die Lippen, damit sie die Hände frei hatte, um ihre Haarkrone wieder hochzustecken. Verzeihung, sagte sie eher spöttisch zwischen den eingeklemmten Nadeln hindurch.
Je te demande pardon.
Aber wenn du gestattest, würde ich mir gern zerknirscht eine anzünden.
Aber bitte,
je t’ai pardonné il y a bien longtemps,
sagte Mária Szapáry. Mach nur ruhig.
Margit Huber erhob sich vom Sofa, sie blickten sich kühl in die Augen und wussten nicht, was sie mit ihrem Hass anfangen sollten. Es wurde kalt. Für alle Fälle beschäftigte sie sich mit ihrem Haar, und während sie es mit raschen, nachlässigen, nervösen Bewegungen hochsteckte, wurde nicht nur klar, dass die Haarnadeln nicht ausreichten, sondern sie sah sich auch gewissermaßen mit Szapárys kritischem Blick. An ihrer Taille war der knallrote, breite weiche Ledergürtel hochgerutscht, die Bluse hing heraus, sie hatte im Sitzen ihre schneeweißen Unterröcke zerknüllt, so dass der blaue Trachtenrock komische Ausbuchtungen hatte, und ihre Tränen hatten die Schminke gründlich verschmiert.
Bevor du sagst, ich sei lächerlich, geh ich mich in Ordnung bringen.
Wird nicht schaden.
Margit Huber lief beleidigt ins Bad, und die anderen zwei, Mária Szapáry und Irma Arnót, blieben etwas betreten am Tisch zurück. Elisa beobachtete sie hungrig und eifersüchtig. Sie wussten nicht, wer mit wem zusammenspielen, wie sie sitzen würden. Das übergeschwappte Getränk war auf dem grünen Filz nicht zerflossen, auch nicht eingesickert. Es lag vor ihnen auf dem Tisch, gewölbt und opalen, als warte es darauf, zu einer Kamee verarbeitet zu werden. Mária Szapáry fiel das ein, weil sie ein paar Wochen zuvor ihre vorletzte Kamee verpfändet hatte und jeden Tag auf den Postboten lauerte, mit dem Geld mussten sie irgendwie durch den Sommer kommen. Jetzt war ihr nur noch eine Kamee geblieben, die schönste. Elisa winselte wieder hinterhältig in die Stille hinein. Das gespannte Schweigen machte sie vielleicht nervös. Lange Minuten vergingen so, bis Margit Huber zurückkam und Frau Szemző, die gelegentlich auch rauchte, eine Zigarette anbot. Margit Huber rauchte dazu noch Gauloises, und wenn man sie fragte, wie sie so inkonsequent sein konnte, sagte sie ungerührt, nicht sie singe, sondern ihre Schüler, und sie unterrichte nicht mit der Kehle, dazu klopfte sie sich an die Stirn. Im Bad hatte sie sich offensichtlich nur gerade Zeit genommen, ihre Schminke und ihre Toilette halbwegs wieder herzurichten. Um die anderen nicht allzu lange warten zu lassen, vielleicht auch, um nicht den Eindruck zu erwecken, sie und Dobrovan hätten sich im Bad gestritten.
Hatten sie aber.
Die Zigaretten brachten ihr Sänger und Tänzer aus fernen Städten und von fernen Flughäfen mit. Manchmal sogar von Orten, wo noch keine von ihnen gewesen war und wohin sie auch nie gelangen würden.
Sie zündeten ihre Zigaretten lustvoll an, beide lechzten nach den ersten tiefen Zügen.
Nicht nur das Klicken des lederbezogenen vergoldeten Feuerzeugs, auch das Aufflackern der Flamme
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