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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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zufrieden.
    Besonders Bella ließ gern solche Lippentöne hören, ein Nachhall der Küsse von dazumal, des durchdringenden Schwanzgeschmacks, seiner glatten Biegung und starken Kanten, wie er zwischen ihren Lippen schmatzte.
    Bei Frau Szemző verhielt es sich anders, sie musste sich anstrengen, den Schein zu wahren. Während sie hier herumkicherte, wurden sie im Frühlingsschneesturm über die alte Brücke von Regensburg getrieben, ein Klatschen und Rutschen auf den gewölbten Pflastersteinen.
    Erna Deméns Tochter war da nicht mehr dabei gewesen.
    Die Karten hatten Szapáry mit Dobrovan gepaart, Frau Szemző mit Médi Huber. Frau Szemzős wohlige Töne verhüllten aber eine Enttäuschung. So nahe sie Mária Szapáry auch stand, sie spielte doch lieber mit der stillen Dobrovan, während Médi Huber und Szapáry trotz ihrer konfliktreichen Beziehung gern zusammenspielten.
    Das war wieder einmal nicht aufgegangen.
    Sie wechselten rasch die Plätze, setzten sich.
    Und jene zwei in dem Dienstbotenzimmer im sechsten Stock schreckten hoch, weil es um sie herum still war, schon lange still, weil ihre Körper in der Stille abgekühlt waren, weil keine Straßenbahn mehr fuhr.
    Über ihnen ließ der Luftzug das auf den dunklen Himmel gehende Fenster langsam schaukeln.
    An diesem Abend hatte Mária Szapáry wieder einmal Glück gehabt, sie hatte den Platz mit Blick auf die Terrasse bekommen.
    Das war der begehrteste Platz.
    Wer hier von den Karten aufblickte, sah jenseits des weichdunklen Flusses die lückenhafte, bleich funkelnde Perlenkette der Gaslaternen auf der Uferpromenade, und über dem flachen, von Lichtreflexen beleuchteten Block des Ruderclubs die auseinander und ineinander gleitenden tiefen Schatten der Hügel von Buda.
    Von hier sah man natürlich nicht, was auf der Insel um das Gebäude herum oder unter den Gaslampen vor sich ging, aber im Allgemeinen wusste man in der Stadt schon, was das für ein Ort war.
    Davon wurde selbstverständlich nicht gesprochen.
    Die Uferpromenade schien leer.
    Zuweilen sah man aber von der Pester Seite, sogar mit bloßem Auge, wie einzelne kleine Gestalten zwischen Büschen und Bäumen heraustraten, auf jemanden warteten oder auf der Promenade verschreckt vor jemandem davonliefen, fast flohen, um sich ein paar Meter weiter rasch und heimlich umzublicken, in dem lichten Goldregenhain zu verschwinden und über die ins dürftige Unterholz getretenen Pfade zwischen die von Ausscheidungen stinkenden mittelalterlichen Klosterruinen zurückzukehren, wo der leicht irrlichternde Schein der Gaslaternen nur knapp hinreichte.
    Mária Szapáry blickte über Izabella Dobrovans in Seide gekleidete Schulter hinweg zum anderen Ufer hinüber.
    Es war wie ein unerwarteter Sieg, sie wartete auf ihre Karten.
    Elisas Blick mied sie absichtlich. Auf den Gesichtszügen und in den Bewegungen der drei anderen Frauen schien die Neurose durch. So demokratisch gesinnt sie auch auftreten mochte, in der Tiefe ihres Herzens betrachtete sie alle, die nicht von ihrem Rang waren, als Neurotiker. Unter ihrer Selbstbeherrschung hing die ständige Gereiztheit heraus.
    Das waren keine freien Menschen.
    Nicht genügend diszipliniert, unfähig, niedrige Regungen in akzeptable Bahnen zu lenken.
    Sie verachtete sie.
    Die drei derart verachteten Bürgerfrauen hingegen waren neugierig, ob Elisas Benehmen Mária tatsächlich so kaltließ.
    Jedenfalls tat sie so, als gehe es sie nichts an, als warte sie einfach auf ihre Karten.
    Und doch würde ihr Zerwürfnis noch am folgenden Tag andauern. Wenn die Freundinnen weg waren, würde sie Elisa schwere Vorwürfe machen, wahrscheinlich bis dahin schon einigermaßen beruhigt, und blöd, wie sie war, würde sie ihr verzeihen, sie wusste es. Elisa ihrerseits würde um sich schlagen, weinen, rasen. Immer verzeihe ich ihr, sagte sie bei sich, womit sie sich suggerierte, ihr tatsächlich zu verzeihen, auch wenn ihr das immer schwerer fiel.
    Der Tag würde kommen, wo so viel gewährtes Verzeihen kein Verzeihen mehr erlauben würde.
    Sie würde sie umbringen, und dann sich selbst. Doch dann musste sie lachen, weil ihr einfiel, dass sie noch eine Möglichkeit hatte.
    Beichten musste sie es.
    Zuerst töten und dann beichten, oder umgekehrt, das war die Frage.
    Beichten, und dann nicht töten.
    Sie alle machten es so, dass sie den einen Schein mit einem anderen kaschierten, und ein klein bisschen Realität drang nur durch, wenn sie sich in diesem ganzen Schein verhedderten oder nicht gleich etwas

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