Parallelgeschichten
der Verfluchte. Denn daran erinnerte ich mich doch, wie das Glied dieses toten Mannes ausgesehen, wie es auf seinen Hoden geruht hatte, das dann doch, daran erinnerte ich mich, an seinen Bauch, an sein Schamhaar, wenn das Wasser aus der Dusche darüberfloss.
Die lange, schwarze Behaarung klebte sich an die dunkelbraune Haut seines phantastischen Körpers, daran erinnerte ich mich genau.
Als ich erwachsen war, glich meiner haargenau dem dieses ermordeten Mannes, obwohl ich blond war wie meine Mutter, blauäugig wie ein Germane. Ich trug einen wildfremden Schwanz am Körper, Farbe und Beschaffenheit unserer Haut waren verschieden, unsere Schwänze aber unterschieden sich höchstens darin, dass ich für dieses kurze Übergangsleben nicht beschnitten war, und so musste ich vor dem Spiegel nur die dunkle Vorhaut von der Eichel zurückziehen und ihn in einem solchen Zustand zwischen die stark herunterhängenden, unter dem blonden Haar fast schwarzen Hodenbälle legen, um unsere Gleichheit festzustellen. Gut, dann habe ich eben einen jüdischen Schwanz, obwohl ich mich immer damit zu trösten versuchte, dass wenigstens mein Körper dem meiner Mutter glich und völlig christlich war. Der runzelige Schnabel der Vorhaut war eng, ich zupfte selten an ihm herum, streichelte meinen Schwanz eher nur durch die Unterhose oder den Pyjama hindurch, wenn ich die Vorhaut einmal zurückzog, war der Schmerz größer als die Lust.
So erfuhr ich, dass auch ich zu einem schrecklichen Tod verurteilt war.
Ich wollte ihm getreulich folgen, um es so rasch wie möglich hinter mich zu bringen.
Schon im Voraus hörte ich das unangenehme Knirschen meiner Schritte. Mit Gefühlsschwelgerei Zeit zu verlieren hätte keinen Sinn mehr gehabt. Ich fühlte mich wie im Traum, wenn man seine Kleidung verloren hat und nackt unter die Menschen treten muss. Ich hatte keine Wahl. Mein Tod machte mir nichts aus, der war wie eine vollendete Tatsache, aber an dummen Kleinigkeiten kaute ich herum, etwa, dass ich hier nicht stehen bleiben sollte, wo ich sie mit ihren glühenden Zigaretten ja doch bemerkt und mich nach ihnen umgedreht hatte. Jede Bewegung und jede Geste, aber auch ihr Ausbleiben hatten an diesem Ort eine vereinbarte Bedeutung, die ich nach ein paar Tagen zu lesen vermochte, wenn auch stockend, während sie fließend in mir lasen. Es war nicht zu vermeiden, für die anderen war ich ein offenes Buch. Das genaue Gegenteil meines anderen Lebens, in welchem man sich mit seinen Absichten in der sittsamen Deckung von Gebräuchen und Verhaltensregeln, im flexiblen Rahmen des Scheins bewegte. Nichts durfte da ungedeckt bleiben.
Ich erschauerte bei der Erkenntnis, dass ich ja nicht einmal meine eigenen Absichten kannte, und die der anderen noch weniger.
In unserem anderen Leben geschehen mit uns Dinge, die zwischen zwei Willensakten oder zwei Heucheleien hindurchrutschen. Also hatte in Wirklichkeit schon immer dieses Dunkel hinter allem gesteckt. Die sichtbare Realität hat eine Rückseite, und ich lotete beide Seiten nicht aus, sah die Grenzen zwischen ihnen nicht. Ich konnte nicht entscheiden, welches von meinen beiden Leben, die sich so raffiniert verdeckten, das konsistentere war. Ein jeder hat ein heimliches anderes Leben, das hatte ich bis dahin auch schon gewusst, aber ich hatte nicht gewusst, dass sich im verdeckten Hintergrund der hinter den Schein oder die Brutalität zurückgezogenen Leben immer noch eins verbirgt. Denn es war zwar grob, gewöhnlich und brutal, was die hier miteinander trieben, aber ihre Umgangssprache war überaus verfeinert, komplex, ausgefeilt, geschmeidig und gleichzeitig klar und praktisch.
Es war lustvoll, dass sie mehr von mir wussten, als ich selbst aufgrund meiner bescheidenen Erfahrungen wissen konnte. Was immer ich tat oder ließ, es wurde in den Augen der anderen sogleich zu einem verständlichen Zeichen, sogar meine Reglosigkeit und Stummheit, und ich hätte mir noch so Mühe geben können, ich stand vor ihnen nackter da als ich mich in meinem anderen Leben je hätte sehen können. Wenn ich von ihrer Sprache etwas verstand, hieß das, dass ich von mir selbst etwas verstand, das ich bis dahin schamhaft verdeckt und weggelogen hatte. Der Schein konnte mein wahres Wesen verdecken. Ich beobachtete sie nicht nur, sondern begann mit ihren erfahrenen Augen auf mich zurückzublicken, so wie sie dauernd aus dem Dunkel auf mich heraussahen und mein Benehmen unverhüllt nach Maßgabe ihrer eigenen unverhüllten Absichten
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