Parallelgeschichten
kritisch bewerteten.
Um meinen Plan auszuführen und auf die Brücke hinaufzugelangen, musste ich im dichten Schatten am Ruderclub vorbei über den knirschenden Kies gehen oder mit raschen, entschlossenen Schritten durchs Dickicht brechen, um über den Pfad zuerst in das von Gaslaternen beleuchtete, um diese Stunde völlig ausgestorbene Innere der Insel zurückzukehren.
Es rührte sich nichts.
Manchmal hörte man vom Pester Ufer her, dann wieder vom entfernteren Ufer in Buda das merkwürdige, in ein Kreischen mündende metallische Quietschen der Straßenbahnräder in der Kurve, dann wieder regte sich nur der Wind, oder ein Schritt knackte im Dickicht. Es ließ sich verfolgen, wo die Nacht-Straßenbahn auf der einen oder der anderen Stadtseite gerade war. Auf der Buda-Seite gab es mehrere Stellen, wo sie quietschte, etwa in der großen Kurve des Margaretenrings oder weiter entfernt an verschiedenen Stellen des Moszkva-Platzes. Auf der Pester Seite mochte es die Zwei sein, die dann quietschte, wenn sie vor dem Parlament vorbeikam oder die Sechs auf dem Marx-Platz, aber es konnte auch eine andere Nachtbahn sein, die Drei, die bei der Einmündung der Visegrádi-Straße in die Ringstraße in zwei großen Kurven wendete, um zur Váci-Ausfallstraße zurückzufahren.
Jenseits der Árpád-Brücke, wo das Fabrikviertel von Angyalföld mit seinen über Stacheldrähten und Ziegelmauern montierten Scheinwerfern den vom Wasser dunstigen Nachthimmel anmalte, donnerte zuweilen ein Dampfhammer, Schlag auf Schlag, durchdröhnte widerhallend die Stadt, ließ Trommelfelle, Wände, die Erde erzittern, schlug, verstummte.
Seit Stunden war ich durstig, ich hatte das Gefühl, völlig ausgetrocknet zu sein, es war mir halb schlecht, deswegen wollte ich die zweite Route wählen.
Unter den mächtigen Platanen der Allee gab es einen sacht rauschenden Brunnen mit Trinkwasser. Wenn mich die leicht bewegte Luft nicht hin und wieder vorwärtsgestoßen hätte, wäre ich vielleicht wirklich ohnmächtig geworden, vor Erschöpfung und Aufregung knickten mir immer wieder die Knie ein.
Das Wasser gluckste in der Nähe zwischen den Steinen.
Man musste sich tief darüberbeugen und einen Hebel drücken, dann spritzte einem das nach Rost schmeckende Wasser in die Mundhöhle.
Auch das Urinieren ließ sich nicht länger hinausschieben.
Ich wollte sterben, konnte aber den Blicken, die meine Absichten durchschauten, trotzdem nicht ausweichen. Sie durchzogen und durchflochten die Nacht, es gab keine Taktik, die mir erlaubt hätte, sie auszuspielen. Was meinen Entschluss lächerlich machte, ich spürte selbst meinen Mangel an Ernst.
Der Ort an sich war so fatal, dass vieles, was als persönliche Tragik daherkommen wollte, für die anderen komisch wirkte. Wenn ich nämlich den kürzeren Weg wählte und mit meinen Selbstmordabsichten über den unangenehm knirschenden Abschnitt der Promenade ging, dort, wo zwischen der widerhallenden glatten Wand des weißen Gebäudes und den Bäumen das unheilverheißende Dunkel hockte und alles Mögliche zuließ, hätte ich damit jedem der da lauernden Männer geantwortet, komm, folge mir, ich gehöre dir. Das Wegstück selbst hatte diese provokante Bedeutung, denn hier boten die Stammeskrieger ihren Darmausgang an, und hier hielten sich die für Geld zu habenden Jungs feil. Wer hier langging, musste im Voraus mit seinem Tod rechnen. Und wenn ich keinem speziell ein Zeichen gab, hätten sich wahrscheinlich gleich alle vier gesagt, na schön, und sie wären mir nachgelaufen, denn sie bestanden gar nicht darauf, es paarweise zu tun. Auch das überwältigte mich. In meinem anderen Leben hatte ich mir vorgestellt, dass man es immer nur zu zweit machen kann. Ich hätte sie der Reihe nach abschütteln müssen, um mich dann in Ruhe umzubringen. Beziehungsweise nach Herzenslust das rostige Wasser zu trinken, bevor ich in der Donau ertrank.
Peinlich wäre ja auch, wenn ich einfach ans Ufer schwimmen würde.
Und so konnte ich, als mir das alles einfiel, zehn Minuten vor meinem Tod meine gute Laune kaum beherrschen.
Oder gar nicht beherrschen, denn beim bloßen Gedanken, was für gegensätzliche, nicht zueinanderpassende Vorstellungen das menschliche Hirn zusammendenkt, musste ich im Dunkeln laut auflachen. Welche Distanz zwischen Entschluss und vorherrschenden Instinkten, zwischen beabsichtigter Tat und wirklichen Empfindungen. Ich lachte im Dunkeln wie ein Verrückter. Wild, ohne es zu wollen, zu laut, obwohl ich doch gerade
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