Parallelgeschichten
lachte, weil ich so völlig bedrückt und ernüchtert war.
Pfiffe von verschiedenen Seiten waren die Antwort.
Das verstand ich wieder nicht.
Unter den Bäumen heraus konnten sie sehen, wie dieser heikle schwarz gekleidete Jüngling aus der besseren Gesellschaft jedes Mal, bevor er in eine Richtung ging, erstarrte, lauschte wie ein Tier.
Ich sah mich selbst, einen obsessiven jungen Mann, der lieber den Tod wählt als seine ganz offensichtliche Bestimmung.
Mit den Pfiffen warnten sie sich vor Gefahr.
Aus dem unheilverheißenden Dunkel, dem tiefen Schatten des glatten weißen Gebäudes war der erste Pfiff gekommen, obwohl ich dort niemanden sah. Drei der vier Gestalten verschwanden sofort im blühenden Hain. Vielleicht auch nur im Dickicht, wer weiß. Als zögen sie ihre Pfiffe in widerhallende Räume mit.
Das Schweigen wurde dicht.
Alles konnte darin geschehen. Diese Menschen waren einander ausgeliefert.
Leichtsinnig hoffte ich, dass der Vierte der Ältere war, der Wunderriese, der mir also doch folgte, statt auf das Pfeifen hin abzutauchen. Es konnte aber auch die Polizei sein, die eine Razzia durchführen wollte.
In diesem Augenblick interessierte mich keine Gefahr. Ich war zu Höherem entschlossen.
Statt zur näheren Brücke, machte ich mich zur Árpád-Brücke auf, ich wusste schon warum. Ohne mich zu beeilen. Die Methode hatte ich ihnen abgeguckt. Und damit meine bedächtigen Schritte nicht knirschten, blieb ich in Wassernähe, entlang der schmalen Uferkante, wo der Kies in die Basaltbrocken überging. Ein falscher Schritt, und ich fiele ins Wasser, aber ich achtete trotzdem nicht auf den Weg. Noch nie hatte ich mich physisch so sicher gefühlt. Als wäre ich über mich hinausgewachsen. Als sähe ich die Umgebung aus immer größerer Höhe. Meine Sohlen brauchten den knirschenden Kies oder die unregelmäßigen Brocken kaum zu berühren, meine Schritte trugen mich rhythmisch, sozusagen melodisch. Mein Hals streckte sich, die Schmetterlingsflügel der Schulterblätter hatten ihn losgelassen. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, dass das nicht ich war, dass alles jemand anderem passierte. Aber ich hatte immer noch die Empfindung, dass mir Leute folgten. Ihnen führte ich ja vor, was ich konnte, wie vollkommen und leicht sich mein elastischer Körper anfühlte. Ich dehnte mich in der Hüfte, Schulterblätter und Schlüsselbeine gaben nach. Alle meine Gelenke und Muskeln trotzten der lauernden Gefahr, ich zeigte ihm meine physische Sicherheit, ihm, dem Riesen. Zeigte ihm mein an den Schultern gespanntes, an die Taille geschmiegtes Hemd, meinen festen Arsch in der fast unanständig engen Hose, ebenso meinen schräggelegten, an den Schenkelansatz geklebten, halbsteifen Schwanz in der sich als zu klein erweisenden Unterhose, die zu enge Vorhaut war bei all der Erregung doch etwas zurückgerutscht. Mit meinem Gang demonstrierte ich dieses ganze Wohlbehagen, das mir mein physischer Zustand verschaffte.
Sogar das frische Windgefühl zeigte ich ihm mit meinem Gang, wie der Wind meine heiße Haut kühlte, führte es ihm vor, zusammen mit den Geschmacksschattierungen des Schweißes. Dem Riesen zeigte ich das, der mit seinem gedrungenen, stark ausrasierten Hals, seinem trutzigen Kopf, seinem in die Stirn fallenden schwarzen Haar am Ende des Pfads bei der Promenade unter den Bäumen stehen geblieben war, wie ich annahm.
Keine Ahnung, was der war.
Unter der weiten Arbeiterhose ließ sich die wahnwitzige Wölbung seines Geschlechts vermuten, sein starker Arsch stand steil heraus. Er hatte dichte über der Nase zusammengewachsene Augenbrauen, über seiner kurzen kräftigen Nase, an den hervorstehenden Backenknochen spannte sich bläulich die dunkelbraune Haut. Feldarbeiter, dieses altmodische, außer Gebrauch gekommene Wort fiel mir als Erstes ein, die Schwere und der herbstlich feuchte Geruch der Erde. Oder Tischler, Steinmetz, Holz, Stein, etwas, das man mit den Händen tut. Ich hatte den Blick nicht von seinem Kopf, seinen Gliedern, seinem Gesicht, seiner Kinnlade abwenden können, während wir uns auf den Pfaden umkreist, verfolgt hatten. Wie ich auch sein plötzlich aufblitzendes und genauso rasch verlöschendes Lächeln nicht vergessen konnte.
Oder eher ein schnelles, stummes Lachen.
Ich hätte mir sogar vorstellen können, dass er weder schreiben noch lesen konnte. Auch wenn er Analphabet gewesen wäre, wäre mir das gleich gewesen, ich wäre bei ihm geblieben. Jetzt gerade starrte er mir wahrscheinlich mit
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