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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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an, den Gegenstand ihres Staunens und ihrer Befremdung, den sie gern wirklich verstanden hätten.
    Gyöngyvér versuchte gleich, mit der Zungenspitze die Tränen vom Gesicht des Mannes zu lecken, sie aufzulöffeln.
    Mit der Zunge in ihre Quelle einzutauchen.
    Unterdessen sah sie, wie entstellt, beängstigend und grob sein schöner Kopf geworden war.
    Aber jetzt ernsthaft, warum weinst du, sag’s bitte.
    Ich weiß es nicht.
    Da begann auch sie zu schluchzen, so leid tat ihr der Mann.
    Und sie dachte, warum habe ich gelogen, warum lüge ich ihn an, warum bin ich so eine miese Schlampe.
    Ich weiß es auch nicht, schluchzte sie, vielleicht deinetwegen, aber vielleicht ist das gelogen, und ich weine nur meinetwegen, ich kann aber nicht sagen warum, ich auch nicht, wirklich nicht.
    So wie sie zitterte, konnte sie auf dem verzerrten Gesicht des Mannes die herabfließenden Tränen mit der Zunge kaum erreichen. Sie fuhr mit ihr zwischen den Stoppeln auf seiner samtenen Haut umher, leckte sie, suchte die Tränen.
    Sie saßen auf der zerknüllten, mehrfach um ihre Glieder verwickelten Decke. Und konnten sich nicht rühren, obwohl sie an ihr zerrten. Ágost saß auf seinen Unterschenkeln, um die Frau, die sich an seinen Hals klammerte, mit der angespannten Muskulatur seiner Oberschenkel festzuhalten.
    Ihre Oberkörper berührten sich nicht, die Frau zitterte, vibrierte, ihre Brüste mit den riesigen Warzen zitterten mit. Der Mann hatte sich wegen seiner Tränen und vor allem wegen jenes inneren Strömens, das das Ausbrechen der Tränen begleitet, ein wenig gelockert.
    Immerhin so weit, um mit seinen vollen Lippen die vor seiner Nase hin und her schlagende Zunge aufzuhalten oder zumindest die zitternden Lippen der Frau zu fassen.
    Sie rutschten aneinander ab, suchten mit der Zunge in der heißen Mundhöhle des anderen einen Halt.
    Das Heiße, das Glatte, der schattige Duft der fremden Leere öffnete ihnen einen neuen Eingang.
    Die Frau zitterte, alles an ihr zitterte, gleichmäßig und unaufhaltsam.
    Der Mann verstand dieses Zittern so, dass man, oder jedenfalls er, diese Frau nicht befriedigen konnte. Gleichzeitig mit dieser Erkenntnis tauchte André Rotts muskulöser, sehnig harter Körper vor ihm auf, seine schwarze Behaarung an Bauch und Brust. Mit André, davon war er fest überzeugt, geriete keine Frau in diese peinliche Situation. Der einzige Mann, den er für besser hielt als sich selbst und mit dem er deshalb gern geschlafen hätte, oder wenigstens gern eine Frau gefunden hätte, die ihm glich. Und auch wenn er ihr erschreckendes Zittern behutsam und zärtlich mit den Lippen auffing, traten sie doch durch keinen neuen Eingang. Oder er wäre gern einmal eine Frau gewesen, um es mit einem Mann, wie sein Freund es war, zu versuchen.
    Ihre Zähne schlugen schmerzhaft gegeneinander, mit einem komischen Laut.
    Das würde bedeuten, dass sie sich vergeblich bemühten. Sie würden zu keinem Abschluss kommen.
    Vielleicht, wenn ich sie lecke.
    André hätte es ihr bestimmt schon längst so gemacht.
    Nein, umgekehrt, er hätte damit begonnen.
    Ja, das mache ich, ich nehme mir ihren Kitzler vor. Wenn ich nicht immer in die alle meinen verdammten Schwanz hineinstecken wollte, hätte ich mehr Erfolg. André ist besser, weil er die Frauen überhaupt nicht braucht. Der braucht niemanden, und so zappeln sich die alle schön an seiner Gleichgültigkeit ab.
    Er muss sich nicht beobachten, er muss sich nicht beherrschen, denn er braucht die Befriedigung nicht.
    Ágost hielt sie fest und überlegte unterdessen, ob er diesen ganzen Zirkus eigentlich brauchte, wie er sich in einer neuen Beziehung, durch die Nähe eines wildfremden Menschen, ergibt.
    Nein, das Zittern durfte er nicht in sich hereinlassen, so wie seine Muskulatur ihn selbst nicht mehr aus sich hinausließ. Als durchlebte er den Schmerz des anderen nur mehr mit der Seele.
    Was heißt nicht mehr.
    Nie, dachte er plötzlich.
    Die Frauen, und wenn sie noch so gierig oder ausgehungert sind, kann man ja zuweilen doch befriedigen. Auch ich bin so eine Befriedigungsmaschine, mich hingegen hat noch nie jemand befriedigt. Seien wir ehrlich, ich habe nur dann etwas davon, wenn diese dämlichen Frauen meinetwegen brüllen. Das ist die Wahrheit. Ich sitze in meinem Gefängnis und kann höchstens auf meine eigene Hand zählen. Den Gedanken fand er sehr lustig, aber noch mehr tat er sich leid. Wie wenn man plötzlich einsieht, dass nicht der andere Mensch, sondern das eigene Dasein und die

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