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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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ein paar Tage zuvor war ich hier mit einer diskret hinkenden, eleganten höheren Tochter aus Buda umhergeschlendert, die in ihrer tödlichen Passivität wenigstens nichts von mir wollte. Wenn ich sie und ihre Familie begleitete, zu einer Oper oder einem Ballett auf der Freilichtbühne oder zum
Thé dansant
im Casino, spazierten wir vorher und nachher bis hierher. Jenseits des Kastanienhains gab es nichts mehr von Interesse, höchstens die nach Urin stinkende, kriegsversehrte, großartige klassizistische Ruine des musizierenden Brunnens und die gepflasterte Leere der Brückenzufahrt.
    Von den wildromantischen Felsen fiel der künstliche Wasserfall in einen ruhigen Teich.
    Bis hierher kamen wir jeweils.
    Zwischen den Wasserrosen blitzten die prallen Leiber von Goldfischen auf, und die konnte man auch betrachten, wenn man sich nichts Gescheites mehr zu sagen wusste. Immer kam der Moment, wo ich den Mädchen nichts mehr zu sagen hatte, oder sie waren es, die nicht von Edith Piaf, Simone de Beauvoir oder Camus plaudern mochten. Und zu dem, was sie wollten, war ich nicht genügend aufgelegt. Sie wollten vom süßen kleinen Ákos Németh mit seiner Säuselstimme und seinen Seitensprüngen reden, was mich wiederum nur beschränkt interessierte. Wenn sie gewollt hätten, dass ich ihre Brüste hielt und streichelte und unterdessen ihr Gesicht beobachtete oder von ihren Knien her unter ihren Rock griff, wäre alles in Ordnung gewesen.
    Aber sie wollten, dass ich ihren Kuss leidenschaftlich erwidere, mehr nicht, höchstens durfte ich sie um die Taille fassen, aber nicht einmal meine Hand durfte über ihren Rücken hochgleiten.
    Das machst du nur, um mich zu erregen, ich weiß es. Die Männer machen das so, damit die Frauen die Selbstbeherrschung verlieren.
    Pfui, was tust du denn da.
    Sie schlugen mir auf die Hand, wann immer sie auf der nackten Haut eine Stelle suchte.
    Lausejunge, lispelten sie, und wenn du noch so willst, ich lass dich nicht.
    Es war still, im Maschinenraum wurde der Wasserfall Punkt zehn Uhr abgestellt, der steil aufragende, von Pfaden durchzogene Felsengarten wurde hingegen die ganze Nacht von Scheinwerfern angestrahlt, um der Polizei die Razzien zu erleichtern.
    Ihre beharrlichen Lippen machten meine Lippen gefühllos, und in dieser Beharrlichkeit war nichts Leidenschaftliches. Mir kam sogar der Gedanke, dass sie diese aussichtslose Küsserei voneinander lernten, oder dass es an mir gewesen wäre, heftig auf sie loszugehen.
    Während ich auf den dunklen Hain zulief, bemerkte ich, dass über dem Eingang des Pissoirs die Lampe brannte und die Tür sperrangelweit offen stand. Eigentlich wurde sie gleichzeitig mit dem Hahn des Wasserfalls geschlossen.
    Drinnen war es dunkel.
    Bevor ich vorsichtig den nach Teer und Urin stinkenden Ort betrat, ich fürchtete, in etwas zu treten oder gegen etwas zu prallen, wurde ich von Scheinwerfern, die durch die schmalen, unter der Decke befindlichen Klappfenster hereinleuchteten, so geblendet, dass ich stockte.
    Drinnen warm der vertraute Geruch und die vertraute menschliche Spannung.
    Ich hätte gleich bemerken müssen, dass ich in eine Falle geraten war, aus der ich mich nicht so rasch befreien würde, ich war gefangen. Aber von diesem Augenblick an stand ich wieder außerhalb meiner selbst.
    Ich sah nichts, hörte es eher nur, spürte es an dem Schauder, der mir über die Haut lief, dass da vor der geteerten Wand Leute aufgereiht standen. Die Örtlichkeit war mehr oder weniger voll. Wie große Hitze war es, wie Fieber. Durch mein Auftauchen gestört, machten sie Geräusche mit ihren Kleidungsstücken, auf dem Steinboden rutschten, klopften Sohlen. Ich sperrte die Augen auf, um zu sehen, was geschah, was sie meinetwegen so plötzlich unterbrochen hatten, war aber im Finstern geblendet von dem starken Gegenlicht. Dann wurde die dunkle Stille noch tiefer, noch gespannter, gleich hinter der aufgesperrten Tür war das einsame Tropfen eines Wasserhahns zu hören.
    So tropft Wasser aufs Porzellan eines schartigen Waschbeckens.
    Ich rührte mich nicht von der Tür.
    Der Jemand in mir, den ich beobachtete, machte nicht kehrt, obwohl er genau das hätte tun sollen. Statt entsetzt davonzurennen, trat er aus dem unangenehmen Gegenlicht hinein ins fiebrige Dunkel, das ihn schon immer angezogen hatte. Unvoreingenommen und fast kennerisch blickte er sich darin um, auch wenn er zunächst nicht viel sah.
    Teer und Urin ergaben eine scharfe, helle und gleichzeitig tiefe, dunkle Mischung,

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