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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Bäumchens gelehnt und seinen Schwanz dagegen gedrückt.
    Das hatte er getan, um nicht zu kommen.
    Jetzt betrachtete er den Schwanz des Schnurrbärtigen und wollte auch meinen sehen und anfassen. Am Baumstamm war er zuckend und kreischend gekommen, sein Sperma war in eine unglaubliche Höhe geschossen, und ich war zwischen den mir ins Gesicht schlagenden Zweigen davongerannt. Auch jetzt wollte ich ihm nicht in die Augen schauen, überhaupt nichts von ihm sehen.
    Unsere Schultern berührten sich beinahe.
    Jeder füllte seinen Platz in der Reihe aus, war in der ernsten, düsteren Phalanx der Männer gefangen. Ebenso wenig wollte ich sehen, wer an meiner anderen Seite stand. Auch so war es zu nah. Ich wollte mich streng an die Fiktion halten, auf der auch die anderen bestanden.
    Wir werden pissen, das ist alles. Und in dieser Fiktion stand jeder für sich allein.
    Jeder achtete darauf, dass ihn kein unbefugter Blick streifte.
    Aber jeder lugte doch aus seiner Eingeschlossenheit hervor. Nicht, um seine Einsamkeit zu durchbrechen, sondern um auf Beute zu lauern, ihr ein wenig zuvorzukommen und die anderen im Auge zu behalten, damit sie nichts Unbedachtes taten. Es galt als Vorteil, wenn jemand den des anderen sah, seinen aber nicht herzeigte, den des anderen genau in Augenschein nahm, ohne sich einem ähnlichen Urteil auszusetzen. Er hielt sich in einer virtuellen Hierarchie seinen Platz offen. Die meisten beschränkten sich zunächst auf die periphere Wahrnehmung. Der Schnurrbärtige zeigte ihn mir, was der mit dem Schweinekopf allerdings viel besser sehen konnte, und gerade deswegen drängte er sich mit dem seinen auf. Bei diesem Sichpositionieren ging es darum, wer den anderen gründlicher erregen und also emotional einfangen konnte, wer geschickter, attraktiver, konkurrenzfähiger war, wer mehr Macht über den anderen zu gewinnen vermochte und wer sich der heimlichen Hierarchie als Erster unterwarf.
    Je länger die Vorbereitung, umso höher stieg das Fieber, umso allgemeiner wurde die Spannung. Jeder bekam etwas davon ab, und jeder steigerte sie. Auch die hatten Anteil daran, die aus irgendeinem Grund von der Paarsuche ausgeschlossen waren oder nicht daran teilnehmen wollten, sondern lieber lange Züge aus der gemeinsamen Lust machten.
    Mit kleinen Tricks, mit der stetigen Steigerung der Spannung konnte man den anderen so weit bringen, endlich die Deckung zu verlassen und sich dem Urteil der Phalanx auszuliefern.
    Die Situation war mir nicht ganz unvertraut, ich hatte früher schon in den unterirdischen Pissoirs der Ringstraße gründliche Feldforschung betrieben, wenn auch mit enttäuschendem Resultat. Ich war vorgegangen wie ein bedachtsamer Ethnologe, der zu den beobachteten Verhaltensweisen Distanz halten muss. Wenn jemand zu einem andern Vertrauen fasste oder aufgrund einer starken Attraktion die Geduld verlor und ihn doch etwas vorzeigte, vorsichtige Avancen machte, stellte sich nicht nur die Frage, ob der andere mit dem Anblick zufrieden sein, den gemeinsam aufrechterhaltenen züchtigen Schein aufgeben und das Vertrauen erwidern würde, sondern wer sonst noch aus der scheinbar zufälligen heimlichen Zwiesprache Gewinn ziehen und sich vom Gesehenen angespornt fühlen würde, als Dritter ins Abenteuer einzusteigen.
    Jedenfalls war nach einiger Zeit klar, wer auf wen neugierig war, wer auf wen nicht, vor wem man sich in Acht nehmen musste, wer sich als Dritter zwischen zwei drängen und sich den Auserwählten vielleicht schnappen würde, wer mit wem kokettierte, falls er es nicht überhaupt mit allen tat, wessen Schwanz wie war, und ob er mit ihm das Versprechen, das er mit seinem ganzen Körper gab, würde halten können. Oder wenn es auf alle diese Fragen keine Antwort gab, weil der Auserwählte zu weit weg war, verdeckt von anderen, dann wenigstens aus dem Verhalten der anderen darauf schließen, welchen Platz er in der heimlichen Hierarchie innehatte.
    Aber es war auch klar, dass sich Gegenstand, Richtung und Temperatur des Interesses in Sekundenschnelle und zuweilen grundlos ändern konnten, gegen alle sichtlichen Übereinkünfte, ja, im Widerspruch zur Hierarchie.
    In solchen Augenblicken geschah vielleicht etwas anderes, als diese Männer, sogar von sich selbst, erwarteten.
    Wenn wieder eine kurze Zeit in diesem Schweigen vergangen war, in dem scheinbar nichts geschah, konnte man ahnen, wer bei wem Anklang gefunden hatte, sehen, wie die beiden von der gegenseitigen Anziehung übermannt wurden, wie ihre

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