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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Hemmungen allmählich auftauten, wie sie die Hindernisse beseitigten, und wer es sein würde, der endgültig allein blieb, wer es war, der vom Anblick des sich anbahnenden Einverständnisses schmarotzen würde. Denn es gab Männer, die nur das wollten, andere beobachten. Die taten von vornherein, als seien sie an der Volksbewegung um sie herum nicht interessiert. Mit Augen und Ohren nahmen sie die kleinste Regung auf, während sie jeglichen Annäherungsversuch kalt abwiesen. Vor körperlicher Berührung scheuten sie fast krankhaft zurück. Die waren offensichtlich mit sehr wenig zufrieden. Es waren berufene Voyeure, und in dieser Hinsicht kannten sie kein Schamgefühl. Sie standen ausdauernd und stundenlang an derselben Stelle, mit völlig ungerührter Miene, was immer um sie herum geschah.
    Ihren zeigten sie selbstverständlich nie.
    Sie nahmen die reiche Nahrung für ihre Empfindungsorgane mit einer gewissen Zurückhaltung zu sich, was etwas Feinschmeckerisches hatte.
    Es war unklar, wann und womit sie sich befriedigten, aber irgendwann knöpften sie sich doch plötzlich den Schlitz zu und stiegen, verborgen hinter einer leidenschaftslosen Maske und einem neutralen Blick, über die Treppe aus der Tiefe hinauf, um die Beute des Tages nach Hause zu tragen.
    Manchmal aber wurde ihnen sogar das wenige versagt. Nicht alle hatten es gern, wenn man ihrer Lust zusah. Es gab solche, die von der Anwesenheit der Voyeure aufgebracht oder gehemmt waren. Anderen war es gleich, man fand sich damit ab oder genoss sogar deren Teilnahmslosigkeit. Ihre Lust steigerte sich durch die Lust des schweigenden Zeugen.
    Es ließ sich vieles klären in der reglosen Stille mit dem gleichmäßig tropfenden Wasserhahn.
    Irgendwo schien es überzulaufen, auf dem Steinboden glänzten Pfützen.
    Aber noch war die Frage offen, wer welche Absichten hatte, und mit wem.
    Die Absichten dieser Männer folgten einem bestimmten Genre, an das sie sich strikt hielten. Aus dem Äußeren konnte man allerdings nicht schließen, wie zurückhaltend der andere war, wie weit er in der Schamlosigkeit gehen würde, wo er es machen wollte, ob er einen Ort hatte, wo man hingehen konnte, oder ob er vielleicht lieber hierblieb und es vor den anderen abzuwickeln wünschte, oder was man emotional miteinander anfangen würde, ob die Beziehung für ein paar Minuten oder vielleicht das ganze Leben galt und was die anderen mit dem allem anfangen würden, wobei aufgrund einer gewissen Routine jeder eine Ahnung haben mochte.
    Alles Fragen, von denen sich keine auf die Person als Ganzes bezog, sondern nur auf ihre einzelnen Eigenschaften und die veränderliche Grundsituation. Wie konnte man diese Eigenschaften zum Reden bringen, ohne mit dem anderen Menschen ein Wort wechseln zu müssen.
    Einen unmittelbaren, unvermittelten Kontakt zu ihm finden, und so auch mit allen anderen im Kontakt sein.
    Sogar die Erfahrensten wendeten die ganze Zeit wie Vögel den Kopf in alle Richtungen, weil sie die Enthüllung fürchteten und in ihrer Unbeständigkeit mal diesen mal den andern Mann im Auge behalten wollten.
    Ohne dass ich mir Mühe geben musste, passte ich mein Verhalten diesen Regeln und Fragen an und ertappte mich dabei, dass ich alles so wie die anderen machte, den gleichen rein erotischen Gesichtspunkt einnahm und ebenso unbeständig war wie sie. Mit der Zeit gab es keine Situation, die ich, unter Umgehung der Moral und des Verstands, nicht sozusagen mit meiner reinen Sinnlichkeit betrachtet hätte.
    Der Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Wissen wurde in der Nacht fassbar.
    Unablässig lernte ich mit und von meiner Sinnlichkeit, lernte gewissermaßen zu dem hinzu, was ich mir früher mit Hilfe des Verstands angeeignet hatte, um es dann nach moralischen Gesichtspunkten zu bewerten und in mein Bewusstsein aufzunehmen. Da aber alles dauernd offen blieb, sich ständig veränderte und auf quälende Weise schillerte, gelangte ich zu keinem definitiven Wissen, höchstens, dass ich Wiederholungen bemerkte, im Rhythmus der Wiederholung ein unbegreifliches Naturgesetz ahnte. Ich sah nicht, wie man in dieser trostlosen Nacht je auslernen konnte. Höchstens, dass ich die immer neuen Situationen erfassen lernte und allmählich die Realität der um mich herum und parallel in mir drin ablaufenden Ereignisse akzeptierte, mich sozusagen damit abfand, dass das um mich und in mir Geschehende doch zu einem Teil meines Lebens würde, und so hörte auch das demütigende Zittern meiner Knie

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