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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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man die Marmorkamine verschwinden. Die zwei Erben hätten ursprünglich keine der so entstandenen Wohnungen zu beziehen gewünscht, da das Gebäude weder ihrem Geschmack noch ihren Vorstellungen vom Zeitgemäßen entsprach, aber dann hatte es sich doch ergeben, dass Deméns Lieblingsenkelin Erna die im zweiten Stock gelegene Wohnung ihres Großvaters bezog, während Miklós, der zweite Enkel, der damals bereits für die illegale kommunistische Partei arbeitete, in ein Haus in der Aréna-Straße zog, das ebenfalls vom Großvater gebaut worden war. Das alles war um die Mitte der dreißiger Jahre geschehen, und abgesehen davon, dass der Theresienring inzwischen nach Lenin benannt war und das Oktogon zu Ehren der Russischen Revolution nun Platz des 7. November hieß, hatte sich in diesem Haus an der Großen Ringstraße praktisch nichts verändert.
    Auch die Bewohner hatten kaum gewechselt. Ebenso waren seither das Treppenhaus nicht mehr verputzt, die Türen und Fensterrahmen nicht mehr gestrichen worden.
    Das Treppenhaus besaß ebenfalls keinen anderen Schmuck als seine Proportionen. Von seinen auffällig breiten und auffällig niedrigen, marmorglatt polierten Stufen, über die jetzt der Hauswart nach oben kletterte, war ein paar Monate nach der Verstaatlichung per Erlass der rote Kokosläufer entfernt worden, selbstverständlich samt den Messing-Teppichstangen. Die Zierde des Treppenhauses waren die Treppenabsätze zwischen den Stockwerken und vor den Wohnungen, mit ihren schön gegliederten Wandflächen, die von den ionischen Profilen eingefasst waren, wie sie auch die Fassade und die Einfahrt aufwiesen. Diese gerahmten Wandflächen waren immer noch nicht ganz nachgedunkelt, besser gesagt war immer noch zu sehen, dass die Profile ursprünglich weiß, die Wandflächen vermutlich hellgelb gestrichen waren. Auch mit Hinblick darauf, etwas von der Sonnenwärme einzufangen. Was man erreicht, indem man ein wenig Rot und Schwarz beimischt. Und damals brauchte es die Farbe auch, um das strahlende Weiß der Wohnungstüren und auf diesem blendenden Weiß die Messingbeschläge, Bänder, Knäufe, Namensschilder, Klinken, das ziselierte Gitter der Gucklöcher sowie die ovale Platte des elfenbeinernen Klingelknopfs diskret hervorzuheben.
    Der Hauswart machte immer wieder eine Pause, aus tiefliegenden Augen schweifte sein Blick streng und rasch in die Runde, wobei er versuchte, sein heftiges Schnaufen zu unterdrücken.
    In solchen Momenten prallten die beiden Pole seiner Selbsttäuschung aufeinander.
    Er machte sich vor, dass ihn das ewige Treppensteigen nicht anstrenge, obwohl es Tage gab, an denen er seinen lahmen Unterleib, auch ohne Mülleimer zu tragen, kaum vorwärtsschleppte, andererseits tat er hartnäckig so, als habe er den Überblick über alles, was der raschen Erledigung harrte, während es ihn kaum mehr interessierte und zuweilen auch aus weiß Gott welchen Gründen gar nicht erledigt werden konnte.
    Er erreichte den zweiten Stock in dem Augenblick, als drinnen das Telefon verstummte.
    Seit er den Fuß zum ersten Mal in dieses Haus gesetzt hatte, war an dieser Tür nichts verändert worden, außer dass man neben das ursprüngliche Namensschild ein zweites angeschraubt hatte. DEMÉN stand auf dem einen, in schöner großer Antiqua. DR .  LIPPAY - LEHR auf dem andern. Ein bisschen lauschte er schon. Nicht aus Neugier, eher aus dem wohligen Trieb natürlicher Faulheit. Wenn es sich schon so ergab, dann ging er eben nicht weiter, sondern wollte gleich hören, wer anrief und wer ans Telefon ging. In seiner Küche hatte er einen Horchposten, und tatsächlich wusste er von allen so gut wie alles. Er wusste, wer zu Hause, wer ausgegangen war, er ahnte, wer wann zurückkommen würde. Den Herrn Professor hatte er seit Wochen nicht mehr gesehen, der war im Krankenhaus in der Kútvölgyi-Straße, und von dort kam der nur noch auf den Friedhof. Der junge Lippay hingegen war ziemlich früh am Morgen wie ein Verrückter aus dem Haus gelaufen. Er erinnerte sich nicht, dass so etwas schon einmal vorgekommen wäre. Vormittags standen, wie er wusste, alle Türen zwischen den Zimmern offen, trotzdem drang nichts auf den Gang heraus. Hol’s der Teufel.
    Sicher wegen diesem Wind, entschied er.
    Die Gattin des Professors, die aus einem unerfindlichen Grund fast von allen Nínó oder höchstens Frau Nínó genannt wurde, was Balter nie verstanden hatte, stieg in diesem Moment aus der Badewanne. Die vergangenen Jahrzehnte hatten an ihrer

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