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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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streifte, schien das der Tropfen zu sein, der das Fass zum Überlaufen brachte. Wie unvorsichtig von ihr.
    Was glotze ich mich an.
    Vor allem konnte sie sich nicht damit abfinden, dass ihre großen, dunklen Brustwarzen wer weiß wie lange schon nach unten zeigten. Die eine Wut schürte die andere, und jetzt war sie schon wütend, dass sie wütend war, verflucht noch mal. Bin ich blöd, Himmelherrgott, bin ich unsäglich blöd. Eine dumme Gans, sagte sie halblaut zu sich selbst, in der Hoffnung, damit ihren Ärger besänftigen zu können.
    Eine ganz gewöhnliche Gans.
    Ob sie wütend war oder nicht, den Anfällen konnte man weder vorbeugen noch waren sie vorauszusehen. Sie kamen und gingen, und je nachdem, in welchem Zweig der Herzkranzgefäße sie auftraten, waren auch die Symptome verschieden. Einmal fühlte sie den schmerzhaften Druck in der Brust, dann wieder wurden die Finger ihrer linken Hand taub. Manchmal spürte sie eine starke Beengung, ohne dass ein großer Anfall daraus wurde, dann wieder war es nur ein kleiner Druck, der sie dennoch zu Boden streckte. Manchmal hatte sie in der Schulter solche Schmerzen, als dringe ihr beschleunigter Puls durch das Knochenmark, dann wieder nur eine Art Völlegefühl, als hätte sie sich überessen. Zuweilen konnte sie fast nicht mehr vor Schulter- und Rückenschmerzen. Und dann war es bloß eine Blähung. Da mussten nur ein paar kleine Gase abgelassen werden, und schon ging es besser, es war der innere Druck gewesen, den sie als Schmerz empfunden hatte.
    Wie sehr sie sich auch beherrschte, der Schmerz blieb unerträglich, das heißt, sie ertrug ihn schon, wollte ihn aber loswerden. Doch diesmal genügte es nicht, Wind aus den Därmen zu lassen, da war gar keiner, gleichzeitig aber zog eine schmerzhafte Spannung auf, das untrügliche Anzeichen eines Anfalls. Schon war da das Gefühl, als würde es ihr von innen das Brustbein sprengen. Und gleichzeitig diese Atemnot. Ein Atmenwollen, und doch zu wenig Luft. Anderswo vielleicht schon Luft, aber nicht hier. Auf ihrer Oberlippe, auf ihrer Stirn brach aus allen Poren eiskalter Schweiß, ihr ganzes Gesicht bedeckte sich mit dem kalten Schleim wie mit einer eisigen Maske. Die trotzdem nicht kühlt. Man müsste das Fenster öffnen.
    Keine Luft im Zimmer, keine Luft, keine Luft in der Luft.
    Das würden ihre Knochen nicht aushalten, die wird es sprengen. Das da ist die Luft der anderen, die haben, was sie nicht hat.
    Mein Gott, wie glücklich die Menschen doch sind. Sie gehen auf der Straße und merken gar nicht, dass sie Luft haben.
    Das ist ja wirklich lächerlich, man bekommt keine Luft aus der Luft. Vielleicht ist kein Sauerstoff darin.
    Sie weiß, sie sieht noch, die anderen haben Luft, nur sie hat keine mehr, man hat sie ihr weggenommen, es hat für sie nicht gereicht.
    Wenn sie nicht rechtzeitig merkt, was da auf sie zukommt, ist es zu spät.
    Das Zuspät gewährte jedoch immer noch einen kleinen Aufschub, und dann kämpfte sie gegen die Panik der Verspätung, denn wenn die sie überkam, war es tatsächlich zu spät.
    Aber ihre Beine tragen ihren Körper schlecht, er ist zu schwer, alles hat sich verlangsamt, es wird dunkel, und ob sie es vor der völligen Verdunkelung überhaupt noch schaffen kann, weiß sie nicht. Welche Ewigkeiten, bis ein Fuß den andern einholt. Dabei fühlt sie unterdessen ihren Körper immer leichter werden, ihre Schritte berühren den Boden kaum. Und es ist noch ein fremder Mensch da, der ihr seinen Atem immer lauter in die Ohren pfeift.
    Nicht abzusehen, wie lange sie das noch spüren und hören kann, sie hasst es ja auch.
    In solchen Momenten tastete sie sich blind voran, kramte mit steifen Fingern in Taschen, Schubladen, Tiegeln, Fläschchen, um dann im Augenblick nach dem letzten Augenblick mit der Spitze ihrer Fingernägel das Medikament zu erhaschen. Manchmal gelang es wirklich nur so, mit ihren langen, gepflegten, blutrot lackierten Nägeln. Die Finger hatten nicht mehr die Sicherheit, unter den vielen Pastillen eine herauszuholen. Aber unter den Nagel ließ sich eine klemmen, ließ sich zum Mund führen, unter die Zunge, wo man sie zergehen lassen muss. An der Zungenwurzel verläuft eine Vene, die
vena lingualis
, und an diesem trauten Ort löst sich das gefäßerweiternde Nitroglycerin leicht auf und sickert durch die Venenwand. Nach ein paar langen, kaum erträglichen Sekunden ist es im Herzen, wo es das durch Verkalkung und Blutfette verengte Koronargefäß erweitert.
    Und schon kreist das

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