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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Haltung nichts verändert, ihre Taille war fast so wohlgeformt wie einst, ihre Hüfte, ihre Schenkel, ihr Hintern und ihr vielbewunderter Busen waren hingegen ziemlich auseinandergegangen. Sie war schwerer geworden, das Fett gerann sozusagen unter ihrer Haut, das war die nackte Tatsache.
    Ich muss fast kotzen, wenn ich das sehe, sagte sie zu ihren engsten Freundinnen, von denen sie wegen solcher Freimütigkeit geradezu vergöttert wurde. Natürlich traf sie damit nur einen kleinen Teil der Wahrheit.
    Sie verwendete immer mehr Zeit auf eine stumme, intensive Körperpflege. Trotzdem hatte sie immer stärker das Gefühl, dass aus ihrem Körper aufdringliche, ganz fremdartige Gerüche aufstiegen, mit denen sie nicht fertigwurde. Darüber allerdings sprach sie nie, mit niemandem. Hätte ein Fremder von gutem Geschmack sie so vor der Badewanne erblickt, wäre sein erster Gedanke bestimmt gewesen, was für eine imposante Erscheinung sie auch jetzt noch war. Ihr Problem waren nicht unbedingt die sich auflösenden Formen, sondern der Geruch.
    Was ist bloß mit mir geschehen.
    Ja, diese Frage stellt sich, und sie klingt eher wie eine Feststellung. Aus ihrem Mund, aus ihrem Schoß, sie wusste nicht woher, aus ihren Poren strömte der Dunst der Auflösung. Das wurde zu einer fixen Idee. Wenn sie aus der Wanne stieg, gepeitscht von dieser genüsslich aufdringlichen Qual, konnte sie es schließlich nicht vermeiden, sich im leicht dampfbeschlagenen Spiegel an der gegenüberliegenden Wand zu erblicken, und da half die Frage, die Feststellung auch nichts mehr. Als fragte sie, wer ist aus mir geworden, obwohl die Antwort auf der Hand lag, das bin nicht ich, diesen Körper kenne ich nicht. Sie wandte rasch den Blick ab. Um nicht den ganzen Tag den Anblick in ihren Gliedern mitzuschleppen.
    Den veränderten, unbekannten Geruch trug sie unter ihrem Parfüm verborgen. Gelang es ihr aber, ihr Spiegelbild zu vergessen oder, wozu sie eher neigte, keine Kenntnis davon zu nehmen, verströmte sie Entschlossenheit und eine ausgesprochen fröhliche Selbstsicherheit, wie als junges Mädchen.
    Ihr italienisch klingender Kosename rührte übrigens daher, dass ihr Sohn Ágoston als kleines Kind lange Zeit nur das aussprechen konnte. Obwohl er sich alle Mühe gab. Es war sein erstes und einziges Wort und bezog sich gleichzeitig aufs Essen und auf seine Mutter. Wenn seine Mutter langsam, schön artikulierend, die Lippen um die Wörter geschürzt, sie ihm gewissermaßen in den Mund legte, pass mal auf, Ágó, mein Schatz, Mama, antwortete Ágó verstockt und verschmitzt erst recht mit einem triumphierenden Nínó. Es war aber nicht nur ein Kosename, sondern zwischen dem jungen Ehepaar die geheime Maßeinheit der Lust.
    Wie viele Nínós waren es bei dir, fragte die junge Frau, während sie sich schläfrig im zerwühlten Bett räkelte.
    Hunderteins, sagte der junge Ehemann verlegen.
    Komisch, bei mir mindestens tausend, sagte die junge Frau und übertrieb vielleicht gar nicht, obwohl man das ja aus weiser Voraussicht gern tut.
    Sie nahmen das Kind zu sich ins Bett und übten mit ihm halbe Stunden lang, sie wälzten sich vor Lachen, bis sie Seitenstechen bekamen, strampelten vor Vergnügen, was das Kind natürlich genoss. Wovon sie Lust bekamen, erneut ineinander einzutauchen. Der Junge sagte es statt Mama, er sagte es statt Papa, statt Pipi, Kaka, Puppe, Popo, statt allem. Ágó, mein Schatz, pass mal auf, sag schön Mama, sag schön Papa. Das Kind passte tatsächlich auf, aber eher nur darauf, ob sie wieder lachen würden. Und antwortete deshalb immer auf die gleiche Art.
    Nínó.
    Auch wenn man das alles nicht wusste, und wie sollte man es auch wissen, hätte man doch nicht sagen können, der Kosename sei unpassend. Frau Erna galt im Kreis ihrer Bekannten und in der Familie als gewichtige Persönlichkeit, als Respektsperson, um die man nicht leicht herumkam. Sie besaß aber auch Eigenschaften, um derentwillen man sie nicht ganz ernst nehmen konnte. Jetzt hatte sie gerade einen ihrer Anfälle von Angina hinter sich, was sie physisch jeweils mitnahm. Das Telefon regte sie auf. Sie ließ es sich selten anmerken, aber insgeheim ärgerte sie sich oft oder war sogar wütend. Zu stark durfte sie sich aber nicht aufregen, das konnte einen neuen Anfall hervorrufen. Nur dass sich ihr kleines Wutgebrodel gerade deswegen nicht eindämmen ließ, weil es nie richtig ausbrach. Während sie sich verärgert abtrocknete und ihr Blick mehr als einmal ihr Spiegelbild

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