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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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können. Dabei verwendete er solche Elemente nicht, ja, nicht einmal die der Renaissance und dem Barock entlehnten spektakulären Stukkaturen, wie sie die Kollegen so liebten und die Auftraggeber gern bezahlten.
    Das wollte ihm nicht in den Kopf. Warum gaben die für solchen Unsinn Geld aus, wenn sie für das gleiche Geld einen angenehmen und harmonischen Raum haben konnten.
    Auf allen drei Stockwerken erhielt jedes straßen- sowie hofseitige Zimmer zwei symmetrisch angeordnete Fenster, denen er an der Front mit den flächigen, aus Sóskúter Sandstein gehauenen Friesen nur gerade so viel Akzent verlieh, wie die Augenbrauen und die Wimpern dem menschlichen Auge. Den einen oben, so wie an den klassizistischen Gebäuden, ein gutes Stück über dem Fenstersturz, schon damit der Regen nicht unmittelbar an die Scheiben schlug, den anderen als Konsole für das Fenstersims. Ein weiteres, aus drei schmalen Lamellen gebildetes senkrechtes Profil war der ionischen Säule nachgebildet. Und den gleichen Fries ließ er als breitere Linie über den Geschäften im Erdgeschoss entlanglaufen sowie auch unter dem steilen Dach, als eine Art Kraggesims, das die vertikale Gliederung der Fassade im Sinn eines angedeuteten Kapitells abschloss.
    Die Argumente, Spötteleien und Einwände seiner Zeitgenossen waren natürlich nicht völlig unbegründet. Denn nicht nur mit diesen kaum merklichen, zurückhaltenden Verweisen und Zitaten schmuggelte er den Klassizismus wieder ein, sondern auch mit der vertikalen Gliederung durch eine Ziegelverblendung, die an eine Säulenreihe erinnerte. Während er die Spannung zwischen strukturellen Erfordernissen und den Innenproportionen nicht ganz zu beseitigen vermochte, erschienen an den anderen Häusern die für den Zeitstil so charakteristischen schamlos üppigen Ornamente.
    Im Oktober sechsundfünfzig liefen ein paar sinnlose Maschinenpistolensalven über die symbolische Säulenreihe.
    Die mehrfach gebrannten Ziegel widerstanden den Einschüssen recht gut, auch wenn man den Bogen der Geschosse verfolgen konnte. Hier hatten sie ein Stück herausgeschlagen, dort den Rand eines Ziegelsteins gespitzt, noch weiter vorn hatten sie sich in den weichen Verputz gebohrt. Der verputzte Teil der Fassade war ursprünglich in einem fröhlichen Sonnengelb gehalten, und die Abschnitte rotbrauner Ziegelverkleidung schienen damals zwischen den leichten Simsen zu schweben. Von den Farben und vom Schweben war jetzt nichts mehr übrig, die sanften Details der Gebäudefront waren staub- und rußgeschwärzt, und von den Profilen, Friesen und Gesimsen floss in langen weißen Strichen der sich täglich neu versteinernde Taubendreck.
    Wer in die Toreinfahrt trat und an der langen Reihe der Mülleimer vorüberging, von denen die Katzen immer wieder die Deckel herunterstießen, so dass die Ratten auch am helllichten Tag in Scharen zum Festmahl kamen, dem konnte auch kaum mehr auffallen, dass die fleckig schmutzigen Wandflächen gleich wie die Fassade von dem lamellenartigen Profil geschmückt waren. Von der Decke des schön gewölbten Tordurchgangs war wegen eines monatelang nicht reparierten Rohrbruchs der Verputz in großen Placken herabgefallen, und zwischen den verrotteten Stängeln des Verputzschilfs ragten die nackten Ziegelsteine heraus, ja, auch die elektrischen Leitungen. Der Hauswart, den der alte Samu Demén fast noch als Halbwüchsigen aus Jászberény in die Hauptstadt geholt hatte, schaute täglich mehrmals dort hinauf, er rechnete, um ehrlich zu sein, mit einer Katastrophe. Es war zu befürchten, dass der bröckelige Mörtel zwischen den Ziegeln des Gewölbes nicht halten und der hier hängende mächtige, vor sich hin rostende Leuchter herunterkrachen würde.
    Seit über dreißig Jahren nahm er nun schon, zuerst als Vizehauswart, dann bald als ordentlicher Hausaufseher, seine Pflichten wahr, und das mit so schonungslosem und leidenschaftlichem Eifer, als könnte er nicht vergessen, dass sein Leben ohne diese Stelle ganz anders verlaufen wäre.
    Geistig war er gesund, ein trotziger, schlauer, duckmäuserischer Mensch, körperlich aber stark behindert, so dass er in seinem eigenen Umfeld als kleines Kind auf ein baldiges Ende zuzuschlittern schien. Ungeeignet für die Feldarbeit, war er allen im Weg gewesen, seine Geschwister hatten ihn geschlagen, getreten und gestoßen, nicht einmal seine eigene Mutter und Großmutter hatten Nachsicht mit ihm gehabt, und wenn ihn eine zufällige Anteilnahme da nicht herausgeholt

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