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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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anderes, ein Junge, den packe sie sich jetzt, das ist was Neues, ein Picknick. Je größer ich würde, umso größer das Vergnügen. Mit einem Jungen müsse sie natürlich umsichtiger verfahren.
    Sie schmeichelte mir mit ihrer Offenheit, ich hing an ihr.
    Irén war schön, und ich hatte einen Horror vor schönen Menschen. Eine sogenannte farbige Persönlichkeit, mit immer neuen Einfällen, auch wenn es zuweilen durchaus böse Einfälle waren.
    Als wäre ihre Schönheit eine Fessel, die man loswerden muss, und zu dem Zweck warf sie sich jeden Morgen in den grauen Strom der gewöhnlichen und langweiligen Menschen. Bei Ágost verhielt sich das wahrscheinlich gerade umgekehrt, ihm verschaffte es keinen Genuss festzustellen, dass der eine auf diese, der andere auf jene Art langweilig war. Als würde schon der Anblick von Gewöhnlichkeit und Bedeutungslosigkeit seinen Geschmack verletzen. Oder als wäre er eifersüchtig und würde sogar die Hässlichkeit der anderen besitzen wollen.
    Vielleicht war auch das eine Folge des Sparfimmels. Es fiel mir schwer nachzuvollziehen, was Ágost und seine Mutter je auf ihre Art spürten, während ich gar nichts spürte.
    Die beiden liefen mit einem Ausdruck durch die Welt, als hätte man sie gerade beleidigt, während sie vornehm genug sind, das nicht zur Kenntnis zu nehmen. Sie trugen die Nase sehr hoch, das muss man schon sagen, sie zeigten sogar, dass sie es nicht zeigten. Und wenn sie in herrschaftlicher Anwandlung aus Ágosts abgelegten Kleidungsstücken etwas für mich aussuchten und ich darin herumlief, was anderes blieb mir ja nicht übrig, dann freute sich Nínó zwar, aber nicht darüber, dass jemand die alte Kleidung weiterhin trug. Nicht darüber, dass sie mir gut stand. Sondern darüber, dass es ihr wieder einmal gelungen war, vom Waisengeld etwas einzusparen. Ich hatte Sonderrechte, wegen meines verschwundenen Vaters, über dessen Leiche seine eigenen Genossen keine Rechenschaft ablegen konnten, und so war der Betrag, offiziell Gnadenlohn genannt, den sie meinem Vormund für meinen Unterhalt zahlten, beträchtlich. Er hatte aber seinen Preis, man musste ja dafür auch etwas leisten, und das war für Erna wie eine Beleidigung. Der Schatten des Verlusts lag auf den Freuden des Gewinns. Immerhin vermochte sich Erna zu überzeugen, dass der Gewinn größer war. Ágost hingegen hatte sogar Schwierigkeiten, sich von seinen abgelegten Sachen zu trennen. Ich sah, wie sehr er sich zusammennahm, um sie nicht gleich wieder zurückzuverlangen.
    Es war ein schauderhafter Verlust für ihn, Schenken tat weh.
    Niemand außer seiner Mutter verstand seinen furchtbaren Schmerz um die Gegenstände. Damit es nicht so wehtat, behandelte er die verschenkten Sachen wie seine eigenen.
    Wenn er wieder Lust bekam, sie zu tragen, holte er sie sich einfach aus meinem Schrank. Solange ich bei ihnen wohnte, wusste ich nie genau, was mir gehörte, sie nahmen die Dinge zurück, fraßen mir die Speisen weg, gebrauchten das Geschenkte.
    An die Jahre, in denen ich mit meinem Vater und meiner Mutter gelebt hatte, erinnerte ich mich kaum mehr. Danach hatte ich rasch lernen müssen, was die Menschen, die sich um mich kümmerten und ihre eigenen Absichten verfolgten, von mir erwarteten.
    Manchmal fand ich nicht einmal die Sachen, mit denen Ágost gar nichts zu tun hatte. Sie lachten. Auch dann, wenn Ágost oder Nínó in ihrer Gier das für mich beiseitegestellte Mittag- oder Abendessen aufaßen.
    Jetzt mach doch wegen eines Letschos kein Geschrei, die Ilona brutzelt dir rasch was anderes.
    Ich beobachtete diesen seltsamen, schönen Menschen, diesen Gézuka, und verstand nicht, wie der mein Cousin sein konnte. Er behandelte mich wie sein Besitztum, schickte mich auf Botengänge, bring diese Übersetzung dahin, hol das Buch dort ab. Manchmal verletzte er mich zutiefst, andere Male amüsierte er mich, ich konnte nie voraussehen, welche Wirkung seine Willkür auf mich haben würde. Deshalb fürchtete ich ihn.
    Er weckte unbekannte Affekte in mir. Manchmal dachte ich, diesen Menschen bringe ich um.
    Die Rollenverteilung war ziemlich eindeutig.
    Ich durfte so lange bei ihnen bleiben, wie ich mich einwandfrei benahm. Nicht nur, dass sie sich willkürliche Urteile über meine Bravheit oder Ungezogenheit erlauben konnten, auch der Rahmen war streng abgemessen, innerhalb dessen ich gegen sie aufbegehren, protestieren, um Dinge bitten, Dinge verlangen durfte. Eigentlich durfte ich gar nichts. Es gab keine Demütigung, die

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