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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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ich nicht hätte erdulden müssen.
    Ágost vermochte in keiner Weise auf seinen Besitz zu verzichten, weder mit dem Blick noch mit den Händen. Zum Beispiel ging er an mir vorbei und klemmte sich, wie zufällig, ein Stück meines Hemds zwischen die Finger. Mit einem verlegenen kleinen Lachen sagte er, ein so erstklassiges Oxfordhemd werde er bestimmt nicht mehr haben.
    Ich spürte, wie mich Hitze überflutete, mir die Röte ins Gesicht schoss, wie ich mich an seiner Stelle schämte. Und wenn ich in solchen Momenten nicht umhin konnte zu fragen, ob ich es ihm denn zurückgeben solle, antwortete er unschuldig, gute Idee, warum auch nicht, vielleicht würde er es doch noch tragen. Eigentlich liebe er solche abgetragenen Sachen. Brandneue Sachen trage man doch ungern.
    Am liebsten hätte ich mir die Haut abgerissen, da, bitte.
    Jetzt aber interessierte er mich wirklich nicht, auch nicht seine teure Füllfeder, es war mir egal, ob er ging oder blieb, nur der Junge, von dem ich nicht wusste, woher ich ihn kannte, interessierte mich.
    Ich hatte Angst, ich würde eine Gelegenheit verpassen, wenn ich den Blick von ihm wandte. Während ihn die Menge verschluckte, sah ich noch sein weißes Hemd, seinen gelben Koffer. Ich wollte bei ihm sein, ihm nachstürzen. Das war mir aber auch gleich peinlich. Ágost hielt mir seinen blöden Füller hin und brüllte, er würde mich jetzt tatsächlich gern verlassen, er habe effektiv keine Zeit, und es hätte auch keinen Sinn, das Ganze abzuwarten. Mit diesen unglücklichen Umständen habe ja wirklich niemand rechnen können. Seine Füllfeder möge mir aber Freude bereiten, gute Reise. Nach der Ankunft solle ich damit unbedingt meine Adresse schreiben. Er überreichte sie mir feierlich mit beiden Händen. Man hätte gar nicht sagen können, was vornehmer und erlesener war, die Füllfeder oder seine Finger, das Geschenk oder die Geste. Er brüllte, ich solle unbedingt schreiben, unbedingt, weil Nínó sonst sehr beunruhigt wäre, und ich wisse ja, wie gefährlich das sein könne.
    Ich brüllte zurück, ja sicher, schreiben, das würde ich bestimmt, keine Sorge.
    Ágost sah aus wie ein persischer Fürst, so wie unser Urgroßvater auf seinen Jugendbildern, stattlich, dunkel. Das Gesicht schmal, ernst gegliedert, fast düster, das Haar dicht, schwarz. Hinter schweren, müden Augenlidern blickten dunkel glänzende kleine Augen hervor. Die Handgelenke schmal, fragile Hände, die Finger unwahrscheinlich lang und die gewölbten, perlmuttschimmernden Nägel wie ein besonderer Schmuck, eine Zierde. Auch dann war es angenehm, ihn anzuschauen, wenn man von ihm zutiefst befremdet war.
    In der Luft um uns herum geschieht sehr vieles, selbst wenn man nicht darauf achtet, es nicht spürt.
    Ágost gehörte zu den Menschen, um die herum in der Luft gar nichts geschah, da er nichts abstrahlte, weder Gefühle noch Licht noch Wärme, höchstens ein wenig Duft. Ich kam nicht an ihn heran, und auch er nicht an mich. Die Füllfeder war eine schwere, vergoldete, schwarz glänzende Montblanc, an der oben das charakteristische weiße Sternchen leuchtete. Dass man nicht an Ágost herankam, und auch er offensichtlich an niemanden, hatte aber auch seinen Vorteil. Hereinlegen ließ er sich vielleicht nicht, aber es konnte keine noch so billige Gefühlsäußerung geben, die er im Interesse seiner Bequemlichkeit nicht für bare Münze genommen hätte. Wirklich zufrieden war er jedoch nur, wenn er gleichgültig bleiben konnte, keine Regung, kein Lächeln im Gesicht.
    Von der Verschwörung, wie ich sie vermutete, war auf seinem Gesicht keine Spur zu sehen. Oder wenn es eine gab und sie mich jetzt ein für alle Mal abschüttelten, so hatte man ihn jedenfalls nicht eingeweiht. Vielleicht schenkte er mir die Füllfeder, um ohne Gewissensbisse weggehen zu können. Aber eigentlich weiß ich nicht, warum er es tat, verstehe es nicht.
    Lange Zeit meinte ich die schönen Menschen nicht zu verstehen, weil man sie eben nicht verstehen kann. Ich verstand meine Großmutter, meinen Großvater, aber die waren klein und wahrscheinlich auch in ihrer Jugend nicht besonders gutaussehend gewesen. Wenn ich aus der samtbezogenen Schachtel meiner Großmutter die Familienbilder herausholte und meinen Vater betrachtete, beruhigte es mich, dass auch er nicht schön gewesen war. Schon als kleines Kind hatte ich gedacht, dass Schönheit zwar als Auszeichnung verstanden wird, als eine Gunst des Schicksals, und doch als Naturkatastrophe aufgefasst werden

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