Parallelgeschichten
Und falls du meine Integrität in Zweifel ziehen solltest, steht dir die Vormundschaftsbehörde zur Verfügung. Reich ruhig Klage ein, nichts und niemand wird dich daran hindern, das versichere ich dir. Ich kann vor Gericht über jeden Kreuzer Rechenschaft ablegen, aber nicht hier im Entree. Die Ausübung der Vormundsrechte kann ich dir hiermit auch unabhängig davon überlassen.
Manchmal wickelten sie das per Telefon ab, was mich noch mehr aufregte, ich konnte ja dann nur raten, was die andere sagte.
Irén spürte, dass sie am kürzeren Hebel saß, sie schaute mich hilfesuchend an.
Ich fürchte, meine Erziehungsprinzipien wären nicht nach deinem Geschmack.
Diese über meinen Kopf hinweg geführten Diskussionen waren seltsam. Wie ein Traum, in dem ich nicht jede Einzelheit durchschaute und selbst gar nicht existierte. Manchmal wurde mir vor Aufregung der Schwanz steif, ich war wie ein verjagter Hund, der hofft, unter den vielen Menschen endlich einen Besitzer zu finden.
Ich half Irén nicht, verriet sie viel eher. Schweigend in meinem neuen Anzug. Es war mir klar, dass beide eine Schau abzogen, trotz dem ganzen ehrlichen Getue, und dass auch ich das Gleiche tat.
Unsere Lügen waren uns allen vertraut, das machte uns zu einer einzigen großen Familie.
Wir reden doch gar nicht von deinen Erziehungsprinzipien, Irén, Liebe, du hast mich vor dem Kind verdächtigt, sein Erbe unterschlagen zu haben. Trotzdem verrate ich dir, dass ich keine Erziehungsprinzipien habe.
Das ist gerade der Unterschied zwischen uns, Erna, Teure.
Wir wollen es dabei belassen, Irén, ich bitte dich.
Niemand schien mich haben zu wollen. Einige Minuten später saßen sie, als wäre nichts geschehen, seelenruhig beim Tee und knabberten diskret an Ilonas unnachahmlichen Meringen.
Sie plauderten über die seltenen Kameen, die Nínó in der Vorwoche aus einem Nachlass sehr vorteilhaft für ihre Sammlung hatte erwerben können.
Es ging ja eigentlich nicht um mich, sondern um sie beide.
Ich falle allen zur Last.
Es brauchte nicht viel Scharfsinn, um zu wissen, dass ich es bei Irén auch nicht besser gehabt hätte. In der Familie wurde herumerzählt, sie habe neben ihrem Mann etliche romantische Abenteuer, aber ich hatte den Eindruck, dass sie, abgesehen von der Erörterung von Kleiderfragen, nicht einmal für ihre Töchter besondere Gefühle hatte. Ihren am ganzen Körper behaarten, schielenden Mann hasste sie stumm, er hingegen vergötterte sie allem Anschein nach. Irén genoss und akzeptierte das, wusste aber auch, dass es eigentlich überhaupt nicht stimmte. Dieser kleine, glatzköpfige, sehr starke Mann, der mit solcher Wonne an Härchen und Häutchen herumschnipselte, dass er dabei sogar die Zunge herausstreckte, und der einmal gesagt hatte, ich dürfe nicht zu ihnen ziehen, weil er um seine Töchter fürchte, war genauso ein Heuchler wie Gézuka. Bestimmt war er kälter und berechnender als meine zwischen emotionalen Extremen pendelnde Tante Erna, die ich trotz allem lieber hatte als alle anderen. In der Gesellschaft von Iréns Mann erstarrte ich förmlich. Seiner Meinung nach hatten seine Töchter und ich einen sehr schlechten Einfluss aufeinander. Er schaute mich lange und stechend an, als ließe er alle meine heimlichen, für ihn aber sichtbaren Sünden Revue passieren. Der wusste, was aus mir würde.
Aus dir wird nie ein rechter Mann, wie ich einer bin, sagte er schielenden Blicks.
Als erwarte er von mir ein reuiges Geständnis.
Du wirst mir meine süßen Mädels nicht verderben, das lasse ich nicht zu.
Ich würde also, wie ich sah, noch weniger wert sein als die Juden, wenn ich mir nicht Mühe gab.
Sogar die würden Grund haben, mich zu verachten.
Im Gegensatz zu ihnen war aber in meiner Tante Irén eine Art unstillbarer Neugier, eine Art ästhetischer Begeisterung, und so übte sie trotz allem eine Anziehung auf mich aus. Genauer gesagt, diese Anziehung hatte mit dem eisigen Schweigen meiner Mutter zu tun. Dank Irén spürte ich, was dahinter lodern mochte. Wenn sie für mich Kleidung auswählte, entdeckte sie mit Lust die Zusammenhänge zwischen den physischen Gegebenheiten eines Menschen und seinen verborgenen Möglichkeiten, sie schälte das Wesen heraus. Und genoss es, aus mir jemanden zu machen, den auch ich nicht kannte. Dauernd müsse sie für Frauen Kleider aussuchen, sagte sie, für ihre Töchter oder ihre Freundinnen und deren Töchter, aber die Welt bestehe ja nicht nur aus Frauen, und das sei schon etwas
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