Parallelgeschichten
Kleidchen, ihrer Haut, ihren schweren Zöpfen.
Da geschah etwas, das im Bahnhof eine starre Stille entstehen ließ. Der Lautsprecher verstummte, und man hörte lange und hart widerhallende Befehle.
Als wäre man drauf und dran zuzuschlagen.
Es war ja nur ein paar Monate her, und mein erster Gedanke war, dass gleich geschossen würde.
Aber die Polizisten packten sich am Arm, die Kette spannte sich gegen die dunkel erstarrte Menge. Das alles innerhalb eines Augenblicks. Die Stille wurde dünner, noch dünner, und zerriss gleich wieder.
Die Hölle brach los, als sich die Polizistenkette in Bewegung setzte, schlug die Empörung der ohnmächtigen Menge hoch, aber insgesamt klang und hallte es nicht wie Protest, sondern eher wie Entsetzen.
Wieder geschah etwas, das ich nicht wirklich verstand. Die Polizeioffiziere brüllten verzweifelt, es klang wie eine rituelle Klage, die Menge antwortete mit Empörungsgeschrei, in dem keine Kraft war, ihr Widerstand hatte keine Kraft mehr.
Wie Wurstfüllung drückten sie sich in den folgenden Momenten gehorsam durch die beiden offenen Ausgänge der Halle. Die großen Glastüren knirschten, quietschten und klapperten, während sie geschlossen wurden, der leere Bahnhof hallte unheimlich wider, die Revolution war jetzt wirklich vorbei.
Alle Ungarn sind verloren
Am folgenden Morgen lag die Landschaft in strahlendem Licht.
Gemessen an der Jahreszeit brannte die Sonne ungewöhnlich stark über der Kleinstadt am Fluss, mit ihren blendend weißen, knallblauen, knallgelben Wänden.
Es herrschte Stille, höchstens hin und wieder ein hochspringender, wieder zurückplatschender Fisch. Der Himmel duftete von Wasser.
Die Uferweiden blühten, an den Straßenrändern die Kastanien und die kugelförmigen, dunkelgrünen Eschen, aus den geschlossenen Höfen, über Zäune, Mauern und Latten ragender, hängender noch nicht aufgeblühter lila und weißer Flieder. Niemand war auf der Straße, auch keine Fuhrwerke.
Am Abend hatte er im kalten straßenseitigen Zimmer des Elternhauses erst sehr spät einschlafen können.
Er trank viel Wasser.
Seine Schlaflosigkeit erklärte er mit dem Fischrogensalat, der machte unheimlich Durst.
Die ganze Zeit musste er in die Küche hinaus, um Wasser aus dem Eimer zu schöpfen, der unter dem mondbeschienenen, auf den weiten Hof gehenden Fenster auf einer Bank stand. Er trank, aber das Brunnenwasser löschte seinen Durst nicht. In diesem dauernden Hin und Her zwischen Durst und Sich-Wälzen, zwischen Halbschlaf und Hochschrecken kam ihm sein Leben unfruchtbar und leer vor. Er träumte von einem ausgetrockneten Flussbett, ja, sein Leben war lauter Durst, unter seinen Sohlen der zu Schollen und Schuppen geborstene Sumpf, der keinen Ton von sich gab, überall nur Unfruchtbarkeit und endlose graue Ödnis. Vielleicht war der Rogen doch nicht ganz frisch gewesen.
Sein Magen war schon schwer von Wasser.
Und doch unstillbarer Durst. Vielleicht eine Lebensmittelvergiftung.
Sein Bauch blähte sich, wurde hart wie eine Trommel. Er stellte sich auf die Verandatreppe, schwitzend vor Schreck, dass er das nicht überleben würde. Von dort pisste er in die Nacht hinaus, achtete aber darauf, nicht den Rosenstock mit seinen ersten zarten Blättern zu treffen. Er trug das weiße Nachthemd seines verstorbenen Vaters, das er mit einer Hand bis zur Hüfte hochzog, die kalte Nacht schlug angenehm kühlend gegen seinen Unterleib. Sein Hirn mahlte fiebrig an seinen Ängsten weiter. Wie ein vergifteter Hund werde ich verrecken. Er genoss die feuchte Kälte der Nacht an den Schenkeln, zwischen seinen gespreizten Beinen, an den Hoden, genoss es, in den letzten Augenblicken seines Lebens den zwischen Wachen und Traum halbwegs steif gewordenen Schwanz noch in der Hand halten zu können.
Ich sterbe, sagte er sich, ich sterbe aus dieser elenden Existenz weg und habe ein Leben lang nach jemandem gedürstet und ihn nicht bekommen.
So wird man mich finden.
Von der Verandatreppe in die Rosen gefallen.
Sein Schwanz gefiel ihm in diesem Zustand am besten, wenn er nicht schlaff auf den Hoden ruhte, aber auch noch nicht völlig seiner eigentlichen Körperlichkeit entfremdet und krampfhaft hart war. Mit dem Schwanz in der Hand in den Rosen gestorben, so würde es von ihm heißen.
Vielleicht bin ich wirklich verloren, habe den Menschen nicht gefunden, nach dem ich dürste.
Wenn ich doch nur auf irgendeine Weise nach Amerika zurückkehren könnte.
Hunde bellten, heulten, jaulten, nah und fern,
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