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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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und die schmerzhafte Ohnmacht der Ungarn und ihre dauernden Verschwörungen und Aufstände nicht teilen mochte.
    Heimisch ist das, woran man sich aus äußeren Gründen gewöhnt hat.
    Nicht der Becher, das Wasser selbst hatte schon immer gestunken.
    Er wusste nicht, wen er im Interesse seiner Seelenruhe für sich gewinnen oder welchem Zustand er ein Ende bereiten sollte, und in Amerika würde er es genauso wenig wissen.
    Er stand da, vor sich selbst erschrocken.
    Die paar Minuten, die ihnen vor dem Beginn der Anlegemanöver noch geblieben waren, hatten ihn nämlich sehr in Anspruch genommen und aufgewühlt.
    In jüngeren Jahren spürt man noch nicht, dass die mentale Inanspruchnahme einen gewaltigen Energieverlust bedeutet.
    Die schweren Speisen und Weine hatten das ihre dazu beigetragen.
    Es war klar, Bellardi hatte es absichtlich so gedreht, dass für eine Antwort keine Zeit blieb und sie von den Weinen und voneinander schon betrunken waren. Auch das ein Trick. Mit seinen leidenschaftslosen Berechnungen ging der über Leichen. Madzar sah eine Lebensauffassung vor sich, und gemessen daran empfand er sein eigenes Leben als unbefriedigend und verzerrt. Als handelte Bellardi nicht wirklich, sondern verwandelte seine Absichten in Tricks und wartete dann ab. Sofern Madzar seine eigene Lebensauffassung bewahren wollte, musste er Bellardis Verhaltensweisen als entstellt, als unmenschlich ansehen. Er sah klar, was er schon als Kind von ihm gewusst hatte, sah aber auch klar, dass er mit seiner nach Ausflüchten suchenden Denkart entweder sein eigenes oder Bellardis Bild entstellte.
    Auch ich habe mir die ewige Selbstzerfleischung der Ungarn anverwandelt.
    Alles, aber auch alles, Bellardis ganze Gefühlsseligkeit, sein Feinschmeckertum, seine Anhänglichkeit, sein physischer Hochmut, sogar auch sein wiederkehrendes Selbstmitleid sind Schein, alles nur Schein. Entweder sie zerfleischen sich selbst in ihrer Ohnmacht, oder sie zerfleischen sich untereinander. Noch gut, dass der eine Schein den andern Schein kaum verdeckt. Ein Mensch, der alles Echte unter dem Schein vergraben hat.
    Und doch kann ich nicht ausweichen, er behext mich, und mit seiner Bitte hat er sich an mir festgekrallt.
    Jetzt stand Madzar hier in der Nacht und wurde den Gedanken nicht los, dass man an diesem Punkt der Welt stinkendes Wasser trank und es nicht einmal merkte.
    Er gehörte zu den Menschen, die von jeglicher Bitte peinlich berührt und verwirrt sind.
    Er müsste sie natürlich abweisen, aber dann würde er nicht länger verheimlichen können, wie grundlegend geizig er ist, was er bisher nicht hatte zur Kenntnis nehmen wollen und auch künftig lieber nicht zur Kenntnis nahm.
    Die ganze Nacht der Kampf mit dem Hundegebell, dem quälenden Durst, am Morgen dann die Qual, keinen Stuhlgang zu haben, und den ganzen Vormittag die Wut auf Bellardi wegen seines unmöglichen Antrags.
    Die eigene Scheiße mit sich herumtragen.
    Er verstand nicht, wie sich Bellardi eine derartige Schamlosigkeit gestatten durfte, oder eher, er machte sich vor, es nicht zu verstehen.
    So lässt sich die Bitte leichter abweisen.
    So arm diese Freiherren von Bellardi auch sein mögen, sie spielen sich auf und betrachten alle anderen als ihr Personal.
    Warum lasse ich mir das wortlos bieten.
    Wahrscheinlich, weil ich im Grunde meiner Seele ihr Leibeigener bin.
    Er war wütend.
    Der Dienstbote dieses Scheißadels, der Angestellte dreckiger Juden, eine schöne Auswahl. Ich hätte wirklich Zeit gehabt, mich zu befreien. Jakobiner, Republikaner, das will ich sein, rief er, und sein Mund bewegte sich dazu. Das war wenigstens amüsant. Tod den Pfaffen und Aristokraten. Er kicherte vor sich hin. An den Galgen mit den Königen.
    Auch mit diesen innigen Rufen konnte er seine Wut auf sich selbst nicht verdrängen. Dass ich mein ganzes Leben lang ein solcher Waschlappen wäre, den ein jeder verführen und aufsitzen lassen kann.
    Nein, nein, widersprach er sich, während er kichernd und fluchend den Felső Dunasor entlangging, hier bleibe ich nicht, ich gehe weg. Gott steh mir bei, damit ich weggehen kann.
    Das war aber nicht mehr derselbe Gott, an den er in der vergangenen Nacht gedacht hatte, sondern der verfluchte Gott, der die Welt ins Elend gestürzt hatte, der Schweinehund.
    Er wanderte in seinen zu warmen Knickerbockers zu Ármin Gottliebs Holzlager, die Sonne sengte ihm in den Nacken, er hatte die Schirmmütze in der Hand. Dabei fragte er sich, wie es dieser billige kleine Päderast

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