Parallelgeschichten
der Mond stand am Himmel, noch nicht sehr hoch, knapp über den zusammengepferchten Dächern der benachbarten Häuser, zwischen den Kronen der Pappeln, und er spürte in der vom Hundelärm pulsierenden Luft, dass auch er nicht anders war. Er wurde neidisch auf das Leben der Hunde. Wenn er ehrlich wäre, wenn er sich nichts vormachte, würde auch er jede Nacht so heulen.
Vielleicht ließ Gott seinen Körper das Leiden Jesu Christi erleben.
Wenn er auf dem Grund fremden Leidens sein eigenes spürte, so war sein ganzer Pantheismus eine Gefühlstäuschung, er hatte sich geirrt. Nicht in mir wohnt der Gott, sondern als separate Entität.
Er hatte der Anziehung des Mondlichts nie recht widerstehen können, als würde es einen kalten Schauder unter seine Haut jagen und seine Haare aufstellen.
Einmal würde er dem Mond nicht mehr widerstehen, sich mit ihm vereinigen.
Er horchte in sich hinein, ob nicht die ersten Symptome der Vergiftung auftraten.
Es gab niemanden auf der Welt, in dem sich dieser Jemand dauerhaft verkörpert hätte. Alle ähnelten nur dieser potentiellen Person, besser gesagt, zu viele ähnelten ihr, Frauen wie Männer. Wenn er wenigstens das Alleinsein ertragen würde. Dass er da auf der Verandatreppe steht, im Hundegebell, den vom Schlaf halbsteifen Schwanz so lange in der Hand, bis der ganze Urin draußen war. Wie absurd. Und wie tödlich langweilig, ein Leben lang das täglich mehrmals abzuwarten. Man könnte es nur dann ohne Resignation ertragen, wenn es außer uns tatsächlich einen selbständigen, selbstgenügsamen Gott gäbe, der einen wegen solcher Zweifel sogleich schlagen oder erheben würde. Es hörte nicht auf, er urinierte lange, der Urin kam mit starkem Druck. Ein Körper wird geboren, funktioniert dann sinnlos, funktioniert einfach, wenn er Flüssigkeit aufgenommen hat, scheidet er sie wieder aus. Offensichtlich sind die physiologischen Funktionen stärker als die Vernunft, und dann regt sich im Universum tatsächlich nichts, alle sinnvolle Arbeit eines ganzen Lebens ist nicht einmal so viel wie ein Kratzer. Die Arbeit des Verstands hinterlässt keine Spuren, hat vor Gott und der Welt nicht einmal so viel Macht, einen das Überflüssige aus sich herauspissen zu lassen.
Und doch muss man es herauspissen.
Aus diesem Teufelskreis kommt man nicht heraus, der Tod ist ja das Vernünftigere, beziehungsweise er scheint vom Gesichtspunkt des Verstands wertvoller als die Existenz.
Ich habe mich in allem verrechnet, komisch, aber wenigstens habe ich das jetzt begriffen.
Er schämte sich tödlich, dass er sich doch hatte eine Erwiderung abringen lassen.
Obwohl er diesen elenden Bellardi nicht einfach nur gernhatte, sondern hingerissen liebte.
Dessen Geständnis hätte er schon aus reiner Höflichkeit nicht mit einem Geständnis erwidern dürfen. Warum tat ich das, wie habe ich das tun können. Der weiß jetzt etwas, das ich besser auf ewig verdrängt hätte.
Nachdem er die überflüssige Menge aus sich herausgepisst hatte, trank er wieder, und wieder, in der maßlos sauberen stummen Küche empfand er die Tasse als unerträglich übel riechend.
Möglich, dass Bellardi ein verlorener Mann ist, aber deswegen bin ich es noch nicht, wieso wäre ich ein verlorener Mann. Er rang mit dem Gedanken, wehrte sich dagegen, dass alle Ungarn verloren wären, wie Bellardi behauptet hatte. Er spürte an der Zunge, in der Kehle, in der Mundhöhle den dichten Geruch und Geschmack des Donausumpfs. Wenigstens fühlen sich diese Ungarn als verlorene Menschen, weil ihnen die Türken ihr Reich weggenommen hatten. Ich hingegen bin nur ich, sonst nichts. Wenn ich weggehe, werde ich zumindest diesem Unbehagen ein Ende setzen können. Die Österreicher haben immerhin zurückerobert, was ihnen die Türken weggenommen hatten. Die Ungarn waren nicht einmal dazu fähig, zu nichts. Wenn ich auf immer weggehe, bin ich wenigstens dieses dumme Verlust- und Mangelgefühl los. Diesen ganzen verfluchten Schmerz, der alle ihre Schritte hemmt, sie den Juden ausliefert, oder wem auch immer, solchen verkommenen, verblödeten Aristokraten wie diesem Bellardi.
Was gehen die mich an.
Bellardi bringt es nicht einmal mit seinem Schwanz zu etwas.
Nicht der Eimer stinkt, nicht die Tasse stinkt, da konnte er seiner Mutter noch lange zusetzen, sie solle sie doch endlich einmal richtig spülen. Er hatte also seine ganze Kindheit lang stinkendes Wasser getrunken. Eigentlich bestand der nicht aufhebbare Zustand darin, dass er kein Ungar war
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