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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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zeigen zu können. Er drehte den Panamahut seines Vaters nervös in den Händen. Mit Ausnahme des Schreibtisches, des Paravents und des Sekretärs hatte er tatsächlich alle Möbelstücke wenigstens grob zusammenzimmern können. Sogar die heikle Couch, von der sie sich so viel versprachen. Wenn es gelänge, die Erfahrungen mehrerer Jahrhunderte zusammenzubringen. Es ging um die sachliche Frage, wie ein entspannter Körper auf einer Couch liegt. Als es dämmerte, war sein ganzer Körper vom Schauder der Morgenfrühe durchdrungen, die gespenstische Ausstellung, die er vorbereitet hatte, überraschte ihn selbst. Die eilends zusammengezimmerten, mit den verschiedensten Objekten unterlegten und gestützten puritanischen Möbel standen einsam zwischen und auf den Maschinen. Noch nie hatte jemand eine so wertvolle Liebeserklärung erhalten, was aber zum Glück außer ihm niemand wusste, Außenstehende konnten es gar nicht verstehen. Auch Frau Szemző würde es nicht bemerken. Oder vielleicht doch, wie er insgeheim hoffte.
    Der Panamahut war zu klein, seine Mutter flehte ihn bis zum letzten Augenblick an, er solle sich doch vor den Augen der Stadt nicht lächerlich machen, ihn ja nicht aufsetzen, bitte.
    Aber Mutter, was soll ich sonst mit ihm tun.
    Behalt ihn in der Hand.
    An diesem Mittwoch war der Himmel leicht bewölkt, bei großer Hitze, kaum ein Windhauch in der dunstschweren Luft.
    Ein echter ungarischer Sommer, wie sich Madzar in Deutschland und Holland an seinen Duft und seine Hitze oft zurückerinnert hatte.
    Er versuchte vergeblich, seine Aufregung zu beherrschen, hatte das Gefühl, noch sehr lange darauf warten zu müssen, dass sich seine Vorstellungen erfüllten, dass der Zug mit Frau Szemző ankam, woraufhin sie auf dem heißen Donaukai zu seinem Elternhaus zurückspazieren würden, damit er ihr diese durch und durch funktionalen und von einem reichen Innenleben beseelten Möbel vorführen konnte. Jenseits des Bahnhofs, jenseits der schwarzen Haufen des Kohlelagers, auf dem Gut des Großherzogs Friedrich von Lothringen arbeiteten zwei Mähmaschinen, im gleichmäßigen Summen waren die langgezogenen Rufe der Feldarbeiter zu hören. Im Sommer arbeiteten Leute aus Göcsej auf dem Landgut. Vielleicht waren es auch keine Rufe, vielleicht lagen sie im Schatten der Akazien und sangen ihre Lieder, bis sich die große Hitze ein wenig legte. Diese fruchtbaren, begehrten Felder der Ebene von Sátorhely, wo den alten Chroniken gemäß das türkische und das ungarische Heer aufeinandergeprallt waren, zogen sich bis zu den Rebhügeln hin. Madzar stand nicht allein auf dem Bahnsteig, auch andere warteten. In seiner Aufregung beachtete er diese seltsamen menschlichen Stimmen nicht, da war ja noch genügend Lärm. Die Loren der Kohlengrube klirrten und rumpelten gleichmäßig, und aus dem Lautsprecher der nahen Badeanstalt klang die schmachtende Melodie eines Schlagers herüber. Das arhythmisch pulsierende Rufen klang in der Landschaft wie ein zur Arbeit gesungenes Klagelied, wie eine die Ödnis des Schicksals beklagende Litanei. Als sich der kurze Zug mit der gedrungenen kleinen Lokomotive unter Paffen und Pfeifen näherte, dann in der Station einfuhr, belebte es sich ringsum noch mehr, aus dem Schatten eilten Eisenbahnarbeiter und Gepäckträger herbei, und in einem der Fenster des langsam vorüberziehenden Erste-Klasse-Wagens erblickte er, umgeben von jungen Mädchen oder eher jungen Damen, zu seiner Verblüffung gleich Frau Szemzős beide stämmigen und starrköpfigen kleinen Jungen. Sie hingen zum Fenster heraus und zeigten den fröhlich gekleideten, im Fahrtwind ihre Hüte festhaltenden oder schwenkenden jungen Mädchen eifrig etwas. Folgte man ihrem Blick, sah man überrascht zwischen der Basaltunterlage der Gleise und dem hohen Betonbord des Bahnsteigs zwei wohlgenährte Ratten mit dem Zug mitlaufen. In dem Bremsenquietschen hatte Madzar keine Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass Frau Szemző nicht allein kam.
    Vor Überraschung war ihm, als müsse er Frau Szemző schwere Vorwürfe machen und sie gleichzeitig entschuldigen.
    Als der Schaffner die Waggontür öffnete, leuchteten ihm von oben Doktor Szemzős kahler Kopf und strahlend lächelndes Antlitz entgegen.
    In äußerster Verwirrung verstand Madzar gar nichts mehr. Er hatte schon einiges erlebt, aber jetzt hatte er zum ersten Mal das Gefühl, dass er das nicht aushalten, dass er sterben würde.
    Als hätte man ihn auf frischer Tat ertappt, während er

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