Parallelgeschichten
keinesfalls.
Ihre Bewegungen hatten bei diesen Worten mit einem Mal etwas allzu Leichtes, fast schon Luftiges, während sie mit großem Lärm durch die Schwingtüren gingen.
Die Portiersloge stand sperrangelweit offen.
Im lichtgefleckten Vestibül war niemand.
Die Rückseite des Gebäudes, großzügiger und mehr Bequemlichkeit versprechend als die Vorderfront, ging auf den Garten. Ihr Lachen, ihre hingeworfenen Worte, ihre Schritte hallten in den leeren Gängen stark wider. Baronin Thum bewegte sich vertraut, strich ihre Vertrautheit auch noch mit schwungvollen Bewegungen heraus. Einen Augenblick blieb sie im Formaldehydgeruch des geräumigen Treppenhauses stehen, wies mit der behandschuhten Hand auf den Hinterausgang, da mussten sie durch, wies nach oben, dort sei ihr Büro, nach unten, wo ihre große Sammlung sei.
Von dieser großen erbpathologischen Kollektion, aufbewahrt in riesigen, versiegelten Glasbehältern in streng verschlossenen Schränken, hätte sie der Gräfin schon am Abend nach deren Ankunft in Berlin gern erzählt. Wenn sie dann an einem geruhsamen Nachmittag der folgenden Tage die Schiebetüren der Schränke aufmachen und die Kollektion zeigen würde, sollte sie der Anblick nicht unvorbereitet treffen. Zum Teil bestand die Sammlung aus dem Material ihres speziellen Forschungsgebiets, aus präparierten Augenbällen, aus Schnitten durchs Auge, je ein Augenball und sein Komplement mit verschiedenen Schnitten, einen größeren Teil aber machten die erblichen Anomalien und Abnormitäten aus, nach Menschentypen sortiert, sämtliche Exponate also echt. Die Baronin hatte längst nicht so detailliert erzählen können, wie sie gehofft hatte, mit Imolas Teilnahmslosigkeit und Unaufmerksamkeit hatte sie nicht gerechnet. Imola interessierte sich ausschließlich für ihren Verlobten. Obwohl doch Karla gerade in den Tagen vor ihrer Ankunft eine bahnbrechende wissenschaftliche Arbeit erfolgreich abgeschlossen hatte, die den Fachärzten ein wichtiges Instrument für die Bestimmung der Rassenzugehörigkeit an die Hand geben würde. Sie ihrerseits interessierte sich ausschließlich für diese Arbeit. Und konnte ihr unerhörtes Glücksgefühl nicht mit dieser dummen Gans teilen.
Ich forsche den Geheimnissen der Schöpfung nach, und die plappert von ihrer Mitgift.
Angesichts dieses beleidigenden Desinteresses hatte sie rasch beschlossen, der Gräfin die Sammlung, deretwegen Fachleute aus aller Welt anzureisen pflegten, gar nicht erst zu zeigen.
Die Vorführung der Abnormitäten und Anomalien war keine leichte Aufgabe, die Organe, die Körperteile und Glieder, zuweilen auch vollständige Köpfe oder Rümpfe und Unterleiber mussten auf eine Art präpariert und in entsprechenden Glasbehältern untergebracht werden, dass die Aufmerksamkeit der zwecks Fortbildung in der Erblehre angereisten Ärzte nicht von der Verstümmelung der Körper, sondern vom Gegenstand der Demonstration gefesselt wurde.
Sie waren schon im üppig mit Blumen bepflanzten Institutsgarten, den nur eine streng gestutzte Hecke vom prächtigen, jetzt schon zum zweiten Mal blühenden Rosengarten der ansehnlichen Direktorenvilla trennte.
Gräfin Auenberg empfand es als ganz und gar unschicklich, durch den Hintereingang zu kommen und die Familie zu überraschen.
Tatsächlich stand von der Schuer nichtsahnend im ersten Stock ans Geländer der Terrasse gelehnt. Er hielt ein offenes Buch in der Hand und redete auf seinen unter Tränen schniefenden Sohn ein. Die Hausfrau, in Gartenhandschuhen und mit der Gartenschere in der Hand, war noch dabei, Blumen für die Tischdekoration zu schneiden.
Hinter ihr der Institutsportier mit einem hübschen Körbchen, seinerseits gerade dabei, der höchst interessiert zuhörenden Frau etwas zu erzählen.
Sie waren tatsächlich ein paar Minuten früher als nötig gekommen.
Während sich alles schön einrenkte und Baronin Erika der Gräfin den zwölfjährigen Siegfried, die zehnjährige Sieglinde und die sechsjährige Ortrud der Reihe nach vorstellte, dann von den Kindern begleitet ins Esszimmer eilte, um zusammen mit ihnen die Blumen in den bereitgestellten Schälchen und kleinen Vasen geschmackvoll zu arrangieren, wobei auch die Gräfin half, fand Karla Baronin von Thum zu Wolkenstein Gelegenheit, ihren Chef beiseitezunehmen und über die Person ihrer jungen Freundin aufzuklären. Damit sich kein Missverständnis oder Fauxpas ergab, musste er ja wissen, dass er bei Tisch nicht mit irgendeiner beliebigen ungarischen
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