Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
Vom Netzwerk:
neugierig war. Aber jetzt wusste ich es, ich war auf diese sich mit jedem Augenblick verwandelnde monotone Bewegung neugierig, warum, hätte ich nicht sagen können. Ich sog ihren Anblick ein, trank ihn, und wurde von keinem einzigen Blick enttäuscht.
    Höchstens von ihrem Mantel bis zu einem gewissen Grad. Beziehungsweise nicht enttäuscht, sondern verlegen. Es war nicht ihr eigener, sondern ein abgelegter Mantel, man sah ihm an, dass er nicht der ihre war. Solche Mäntel gab es nirgends zu kaufen, er war zu groß, aus einem sandfarbenen, leichten Stoff, vielleicht sogar ein Männermantel. Dieser sandfarbene Fleck war es, der mich durch die dunkle Szófia-Straße führte. An dem unförmigen Stück störte nicht einfach, dass es sie verdeckte, dass man nicht sah, wer sie war, sondern es verletzte auch meine Zärtlichkeit. Nicht ihren Körper wollte ich sehen, oder vielleicht doch. Unverhüllt die Stille ihres nackten Körpers. Solange ich sie nur aus der Distanz oder in ihrem weißen Kittel gesehen hatte, war mein Gefühl für Ästhetik durch nichts gestört. Und nichts hatte meine Phantasie gezügelt. Als dürfte ich ihre Schönheit nur mit den feinsten Sachen einkleiden. Der Mantel hingegen erinnerte mich an die peinliche gesellschaftliche Realität, an die unwillkommene und unausweichliche Tatsache, dass ich einer gewöhnlichen Espressoangestellten hinterherlief und das Ganze einfach ein läppisches Abenteuer war. Das ich nicht nötig hatte. Der Gedanke hatte etwas Beleidigendes. Als riefe die böse Tante aus dem Groschenroman: Ihr kriegt euch ja doch nicht. Immer hatte ich den Frauen nachgegeben, jetzt wäre es an der Zeit gewesen, mir einzugestehen, dass mich die Männer leidenschaftlicher interessierten, weil mich eigentlich nur interessierte, wie ich war. Solange ich sie in ihrem weißen Kittel gesehen hatte, war noch Platz für die romantische Vorstellung von elegantem Reichtum gewesen, angesichts ihrer plumpen Ärmlichkeit nicht mehr. Als wäre nichts mehr an seinem Platz und würde ihn auch nie mehr finden. Es waren nicht die Frauen. Ich kam mit mir selber nicht zurecht, sowenig wie mit anderen, mit nichts. Oder vielleicht erhielt ihre Schönheit gerade durch ihre Ärmlichkeit Gewicht und Kraft; meine Phantasien hätte ich trotzdem ungern aufgegeben. Zu meinem Glück blieb sie nicht stehen, sie gab auch keine Zeichen, dass sie meine Schritte gehört hatte. Sie beeilte sich wie jemand, der etwas Dringendes vorhat.
    Ihre wunderbaren Schritte gewährten mir Aufschub.
    Unter dem hässlichen Mantel trug sie wahrscheinlich einen engen Rock, sie machte ganz kleine, wenn auch ganz entschiedene Schritte, das Klopfen der hohen Absätze hatte etwas Gewolltes. Mein Gedanke war nicht, dass sie schöne Beine hatte. Ich sah etwas, von dem ich mir sagen musste, dass ich noch nie etwas so Schönes gesehen hatte, aber ich fasste den Anblick nicht in Worte. Die Männer nehmen solche Dinge ernsthaft in Augenschein, wie ich wusste. Aber das gehörte zu den Dingen, die ich bei den Männern nicht ganz verstand. Als hätte es irgendwie mit ihrer Potenz zu tun, welche Frau was für Beine hat. Wenn Männer von den Beinen einer Frau redeten, starrte ich beides verständnislos an, die Männer wie die Beine. Mich faszinierte die aufrechte Haltung dieser Frau, der konsequente Rhythmus ihrer Schritte, alles, wie sie ihre Füße setzte, wie die Bewegung in einem gefälligen Bogen auf ihre Knöchel und die in Seidenstrümpfen steckenden, wohlproportionierten starken Waden überging. Auch hatte ich früher nie gedacht, dass ich eine Frau haben wollte oder wollen könnte, die rohe Offenheit des Besitzanspruchs hatte mich abgestoßen. Mir erschien es als unmöglicher, erschreckender, überheblicher und grober Unfug, wenn ein Mann so etwas laut aussprach oder seine Absichten der betreffenden Frau mit Blicken und Gesten offenbarte. Zu solchen Dingen war ich in keiner Weise motiviert. Früher hätte mich schon der Gedanke, ich könnte mich so primitiv verhalten, vor Scham im Boden versinken lassen. Dass mich die Beine von jemandem interessieren sollten, dass ich eine Frau ihrer Beine oder ihres Arsches oder ihrer Brüste wegen würde haben wollen. Warum ausgerechnet der Arsch, was taten die Männer mit den Ärschen der Frauen.
    Und jetzt dachte ich genau das. Als hätte es jemand in mir und mit meiner Stimme ganz deutlich ausgesprochen. Diese Frau hat schöne Beine. Diese Frau muss ich haben. Da gab es nichts zu beschönigen, wollte ich auch

Weitere Kostenlose Bücher