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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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gar nicht, es bezog sich ja nicht auf ihre Seele, sondern auf ihren Gang, und auf alles, was dieser unmögliche Mantel so grausam verdeckte, auf ihren Arsch. Ich wollte ihn sehen, ihn und ihre Brüste und ihren Bauch.
    Um meine eigene Seele ging es, deswegen konnte ich nicht widerstehen.
    Ihre Schuhe klapperten weiter auf dem Pflaster. Ich hörte meine eigene Stimme diese Wünsche aussprechen und schämte mich doch nicht, vielmehr spannte mir eine unbegründete, noch nie gekannte Fröhlichkeit die Brust. Was mich genauso unverantwortlich und überheblich machte wie die Männer, die ich in ähnlichen Situationen gesehen hatte. Eben noch war ich ihr nur so nachgeschlichen, eben noch hatte mir das Herz heftig, nervös und beklommen geklopft, und jetzt auf einmal diese hochmütige, ungehemmte Fröhlichkeit. Ich ging hinter ihr her, erlöst durch meine eigene Stimme.
    So gelangten wir auf den Liszt-Ferenc-Platz.
    Sie führt mich, dachte ich, diese Frau führt mich, die führt mich irgendwohin. Ich hatte deutlich diesen Eindruck. Auch wenn ich eigentlich gar nicht daran glauben konnte, ich selbst wollte ja nirgendwohin, jedenfalls hätte ich nicht sagen können, wohin ich denn mit ihr wollte und woher dieser Hochmut kam, aber immerhin waren Angst und Zweifel verschwunden. Als sagte ich achselzuckend, geschehe, was wolle. Hätte ich gewusst, was mich erwartete, was für Monate, was für Jahre, selbst dann hätte ich mich diesem Augenblick überlassen, es war unvermeidlich. Ich bereue nichts, würde es heute noch so machen.
    Als wir den Platz vor der Musikakademie überquerten, musste sie sich gegen den Wind stemmen.
    Sie klammerte sich an ihre Umhängetasche. Den Kopf ein wenig seitwärts gewandt, damit ihr der Wind den kalten Sprühregen nicht direkt ins Gesicht spritzte.
    Ich selbst hielt ihm das Gesicht einfach hin, die Nässe floss mir den Hals hinunter, Hauptsache, ich konnte sie sehen, ich wollte sie keine Sekunde aus den Augen verlieren. Aber dann wandte ich den Kopf doch ab und folgte ihr eine Weile sozusagen blind, aber der Regen schlug mir trotzdem ins Gesicht. In der Akademie hatte das Konzert bestimmt schon angefangen, hinter den schönen Jugendstil-Schwingtüren gingen im fahlen Licht der Eingangshalle gerade zwei Billettfrauen in ein Gespräch vertieft vorbei. Ich weiß nicht, ob sie langsamer wurde oder ich schneller, jedenfalls waren zwischen uns, als wir die Ecke zur Király-Straße erreichten, kaum mehr zehn Schritte Abstand. Näher heran wagte ich mich nicht, ich hielt die Distanz absichtlich ein.
    Damit sie führen und ich ihr folgen konnte. Auf diesen Vorteil hätte ich ungern verzichtet.
    Wenn es auch nur ein paar Sekunden dauern mochte, war ich doch von einer schönen Verantwortungslosigkeit erfüllt, oder von Freude. Jedenfalls verdeckte das eine Gefühl das andere völlig. Über der Király-Straße war der Himmel schon dunkel, nur die Lampen schaukelten im Wind. Ein Streifenwagen kam uns entgegen, seine Räder flüsterten auf dem nassen Asphalt eine langsame, laue Melodie. Als würde das leise Schnurren des Motors alle anderen Geräusche der Straße verdrängen, die unerwarteten Schläge des Winds, das rätselhafte Klopfen, das leise Glucksen der Abflussrohre am schmucklosen klassizistischen Eckhaus. Selbst wenn mein Vater nicht in einem solchen Auto verschwunden wäre, hätte ich vor denen auf ewig Angst gehabt. Mein Schicksal interessierte mich nicht, und auch das Schicksal meines Vaters schrumpfte in dem großen Ereignis zu einer Episode zusammen. Sie ging eng an die Hauswände gedrückt, um den unter löcherigen Traufen angesammelten Pfützen und Bächen auszuweichen. Hier drangen die Windböen nicht so stark ein, nur die Dächer machten Lärm. Die Polizisten würdigten uns keines Blickes, in ihren Augen waren wir einfache Fußgänger, trotzdem beobachteten sie uns, nahmen uns wahr. Ein streitendes Liebespaar. Der Wagen trug vier düstere, nach außen gewandte Gesichter vorbei, sie beobachteten, ob in der ausgestorbenen Stadt noch das erforderliche Quantum Angst vorhanden war. Ich hätte auch ruhig ein Lustmörder sein können, sie waren nur am Quantum Angst interessiert. Oder ein Räuber, der nur darauf wartete, dass sie verschwanden, um die Frau auszurauben. Selbst wenn es direkt vor ihren Augen geschah, durften sie nichts tun, ja, sie durften es nicht einmal bemerken. Und wenn sie alles noch so heftig kontrollierten, es war eine Straße, sie konnten nicht verbieten, dass Menschen auf ihr

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