Parallelgeschichten
außergewöhnlicher Qualität. Die Toilette der Baronin bestand aus einem hochgeschlossenen, weißen Kunstseidenkleid mit hellblauen Querstreifen und rundem Kragen, darüber ein Umhang aus dem gleichen Material, mit mittelblauen und dunkelblauen versetzten Querstreifen, über der Brust in kleine Zungen auslaufend, denen fünf Knöpfe entsprachen. Der Verschluss und das raffinierte optische Spiel ließen den Busen gewichtiger erscheinen, als wie ihn die Gräfin als Kind gesehen hatte, und den wiederzusehen und zu berühren sie viel gegeben hätte; gleichzeitig trug die Baronin den Umhang lose genug, dass er ihre zu breite Hüfte vorteilhaft verbarg und ihre kurze Taille streckte.
Die Auenberg-Mädchen ihrerseits waren auf ihre von der Mutter geerbte Taille stolz und taten alles, um diesen Vorteil gebührend herauszustreichen. Als bauten sie ihr fragiles Schicksal heimlich doch auf dem mütterlichen Erbe auf. Die Gräfin musste zugeben, dass diese geschickten kleinen Knöpfe dem Umhang der Baronin seine modische Silhouette verliehen, die Arbeit einer gewieften Schneiderin, gewiss, trotzdem sah sie darin wie ein vertrocknetes Schulfräulein vom Land aus. Ihren gesellschaftlichen Status verrieten höchstens die Handtasche und die fast mondänen Schuhe, na schön, auch die überaus feinen Seidenstrümpfe. Schuhe und Handtasche waren aus der herunterhängenden, fein geschuppten Kinnhaut des Alligators hergestellt; wenn das Tier die Kampfstellung einnimmt, ist es an dieser Stelle am verletzlichsten.
Die Deutschen verstehen einfach nicht zu repräsentieren, zu strahlen, so viel ist sicher, dachte sie zufrieden.
Baronin Karla ihrerseits dachte im Stillen, wobei sich ihre Augen an der reichen Toilette der Gräfin nicht sattsehen konnten, dass diese doch ein wenig
overdressed
war, nicht zu viel, aber trotzdem.
Den Ungarn, dachte sie zufrieden, scheint das Gefühl fürs richtige Maß abzugehen, das uns Nordländern ganz natürlich ist, sie merkt nicht, wie sie in dieser alles in allem ländlichen Umgebung peinlich auffällt.
Wie ein Paradiesvogel, wie ein Pfau.
Dieser Hang zum Übertreiben regte sie auf, zugleich war sie aber auch stolz, geradezu begeistert wie ein junges Mädchen; das war ja eine richtige Rebellion, die sich Imola da leistete, sie selbst hätte sich das gerade wegen ihres wilden Innenlebens und ihrer heimlichen Abenteuer niemals gestattet. Dem in den höchsten Damenkreisen herrschenden Usus entsprechend trug Imola ganz traditionell geschnittene Accessoires aus den feinsten Materialien. An den schmalen Füßen streng geschlossene, bequeme braune Ziegenlederschuhe mit soliden Absätzen und eine fast düster und langweilig wirkende Handtasche aus dem gleichen Leder, dazu hauchdünne, durchbrochene Chevreauhandschuhe. Darin war gewissermaßen ihre Erscheinung verankert, erhielt Gewicht und Ernsthaftigkeit. Eigentlich stand sie jenseits der Kategorien von zu wenig oder zu stark aufgedonnert, in diesem Punkt täuschte sich die abseits der großen Welt lebende Baronin. Die Farben ihrer Kleider machten ihre Gestalt ätherisch, der kühne Schnitt ließ das Persönliche verschwinden.
Um seine Familie oder auch seine Gesellschaftsschicht kontinuierlich zu repräsentieren, soll man nichts zeigen, was die eigene Erscheinung zu einer Ausnahme oder zu etwas Besonderem macht.
Die Kleidung erhielt gewissermaßen durch den Mangel an Charakteristischem und durch ihre Unerschütterlichkeit ihren Sinn.
Sie lebt auf einem anderen Niveau, na schön, dachte die Baronin gereizt, aber sie müsste es bei entsprechender Gelegenheit auch zurücknehmen können. Aber auch in diesem Punkt täuschte sie sich. Sie war wie der Verliebte, der in seinem Gefühlsüberschwang von der Geliebten erwartet, dass sie immer nur vollkommener wird.
Wie unangebracht.
Im Gegensatz zur Baronin hätte Imola auch nicht darauf verzichten mögen, wenigstens ein wertvolles Schmuckstück zu tragen, immerhin achtete sie darauf, dass es im Sommer nicht mehr als eins war.
Auf ihrem zauberhaft leicht und extravagant geschnittenen aprikosenfarbenen Seidenkostüm strikt englischer Fasson steckte eine Perle. Eine riesige Perle, mit einer besonderen Schattierung zwischen Weiß und Grau, die sie unter einem bestimmten Lichteinfall in sämtlichen Regenbogenfarben schimmern ließ; sie saß auf einer strengen Platinrosette. Die Arbeit stammte aus Le Maîtres Pariser Werkstatt. Dazu trug die Gräfin einen Platinring mit einer ähnlichen Perle, der jetzt allerdings
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