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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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gingen. Das war ja das Minimum. Man sah ihnen aber an, dass auch das noch zu viel war, mehr als nötig, dass es sie störte.
    Da ging das Opfer, das mir seine Schritte absichtlich auslieferte. Auch die dunkle Stadt arbeitete ihnen nicht in die Hände. Mir wäre auch recht gewesen, wenn wir die ganze Nacht so aufs Geratewohl weitergegangen wären. Und wenn sie uns folgten, gab es ja nichts aufzudecken. Es war nur ein unerwarteter, flüchtiger Augenblick, wie ein im Herzen steckengebliebener Blutpfropf, aber es machte mich glücklich, leicht, dass ich vor den Augen der Polizisten einer Frau hinterherlaufen durfte. Man könnte sagen, dass ich meine heimliche kleine Freiheit genoss. Als würde ich dank dieses plötzlich auftauchenden und verschwindenden Streifenwagens verstehen, was ich vorher als Kummer oder Traurigkeit auf ihrem Gesicht zu sehen geglaubt hatte. Ich sah meine eigene Unbeholfenheit, Beklemmung und Angst unter den Rädern des Wagens heraufspritzen. Mein ganzes Leben war bisher nichts anderes gewesen als Rückzug und Verstecken, ich hatte nicht gedacht, dass es den freien Entschluss gab, und es gab ihn auch nicht. Jetzt aber hob sie mit ihren Schritten meine Angst einfach auf. Auch ihr hässlicher Mantel interessierte mich nicht mehr, mich störte die von meinem widerwärtigen Cousin abgelegte Kleidung ja auch nicht mehr. Nur noch ein paar Schritte, was bedeutete, nur noch ein paar Augenblicke. Dann war auch diese kleine Phantasie vorbei, denn sie bog in die Nagymező-Straße ein und verschwand. Als wolle sie mir einen Streich spielen. Dann wäre das ganze Leben doch nur Bitterkeit und Enttäuschung. Ich beschleunigte meinen Schritt, rannte fast bis zur Ecke. Das durfte ich ihr nicht erlauben, wenn sie mich schon so weit geführt hatte. Wenigstens wollte ich sehen, wohin sie ging.
    Sie stand vor der Kirche, als wäre sie geradewegs dorthin geflüchtet. Der eine Flügel der schweren Tür stand weit offen.
    Sie konnte sehen, dass ich ihr mehr oder weniger nachrannte. Ich hingegen konnte endlich sehen, dass sie auf mich wartete, auf niemanden sonst, denn sie wandte sich mitten auf dem breiten Gehsteig zu mir um. Ich konnte meine Schritte nicht verlangsamen, aber ebenso wenig wusste ich, wie weit ich mich vorwagen sollte, wenn sie schon so weit gegangen war. Mir war, als könnte ich mich nicht bremsen und müsste über sie herfallen, auch wenn sich mein Mut sogleich verflüchtigte. Ich erlebte einen der klarsten und vergänglichsten Augenblicke meines Lebens. Lügen oder Falschheiten hatten darin keinen Platz. Ein kurzes Aufblitzen, dem dichter Nebel vorausgegangen war und wieder folgen würde. Sie stand da, hartnäckig entschlossen. Als erwarte sie den verrückten Angreifer, um ihn mit einem Schlag zu Boden zu strecken, so wirkte sie, wild entschlossen, trotzig. Aber je näher ich kam, umso schöner lächelte sie, als heiße sie den Angriff willkommen, voller Freude über die sich gerade vollziehende Brutalität. Was bedeutete, dass sie nicht weniger verrückt war als ich. Ihr Lächeln war fein, sanft, aber auch deutlicher und breiter werdend, so dass ihre Gesichtszüge fast verschwammen, aber der entschlossene Trotz, mit dem sie sich auf dem Gehsteig aufgepflanzt hatte, war weniger schön.
    Er war roh, grob, und auch mein Hinterherhetzen war nicht schön, als liefen meine Glieder auseinander, als könnte ich meine Bewegungen nicht mehr koordinieren und lenken. Die Gier war nicht schön, diese ängstliche Habgier, ich könnte etwas verpassen oder verlieren. Ebenso wenig mein Entsetzen darüber, dass ich das, was ich ergreifen und packen wollte, auch zerbrechen könnte. Und doch war es schön, dass ich mich deswegen, wegen des Besitzenwollens, nicht schämte. Wie kann man einen Menschen ganz besitzen, man kann es gar nicht. Es gab nichts zu zerbrechen. Wenigstens einen Augenblick lang ihren Arsch mit beiden Händen fassen. Das war es, worauf ihr Lächeln antwortete, auch sie schämte sich nicht. Es sagte, ich spiele nicht Verstecken mit dir. Es sagte, was willst du. Es sagte, da bin ich. Es sagte nicht, nimm mich, sondern, jetzt strecke ich dich zu Boden, zerreiße dich, fresse dich, nehme dich. Und das wiederum war von einer anderen Schönheit, auch wenn es ein wenig lächerlich war oder roh. Bisher war sie mir eher zerbrechlich, durchsichtig, blutarm und traurig erschienen. Es war mir entgangen, dass sie Züge hatte, in die die Brutalität ihrer Seele hineingeschrieben war. Das Hässliche, das Schöne, alles

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