Parallelgeschichten
hatte alles wieder verändert, allem eine neue Richtung gegeben, und er ließ sich nicht mehr zurücknehmen.
Solche Wenden im Leben spürt man immer stark, und man weiß nicht, was man dagegen tun könnte.
Ich fragte rasch, damit sie keine weiteren Fragen stellen konnte, was sie denn studieren wolle. Aber es war alles sehr seltsam, denn ich geriet wegen meiner Lüge, die mir gegen meinen Willen herausgerutscht war, überhaupt nicht in Verlegenheit. Als müsste ich mir eine Art unfeiner Überlegenheit verschaffen, als sammelte ich Kräfte für einen Überfall mit unabsehbarem Ausgang, und tatsächlich hatte mir die Lüge Kraft gegeben, meine Beine zitterten nicht mehr.
Philosophie.
Ich blickte ihr ins Gesicht, konnte es nicht glauben.
Philosophie, fragte ich ungläubig. Was, fragte ich, als hörte ich schlecht.
Als hörte ich das Echo meiner eigenen Lüge.
Und ich wusste auch gar nicht, was das war, Philosophie. Was hätte die Philosophie mit einer solchen Schönheit zu tun. Philosophie war etwas, worüber mein Onkel mit seinen Kollegen diskutierte. Ich hatte den Eindruck, diese Wissenschaft sei dazu da, dass sich alte Professoren in dunklen Angelegenheiten gegenseitig manipulieren konnten oder geradewegs übers Ohr hauen. Sie bemühten die Umständlichkeiten dieser Sprache, um in Deckung zu bleiben und den anderen nicht vorzeitig abzuschrecken. Nie wäre mir in den Sinn gekommen, die Philosophie könnte etwas anderes sein als die Geheimsprache dieser unablässig intrigierenden alten Herren. Wenn das Wort immer öfter fiel, stand auch Nínó wortlos auf und überließ die Herren sich selbst oder plauderte mit den Damen weiter.
Meine beleidigende Verblüffung fiel ihr gar nicht auf, bei ihr war Wut hochgekommen, Ohnmacht, sie ließ ihre Bitterkeit gegen mich los.
Wenn ihr Leben kaputt gemacht würde, verdanke sie es dieser unglückseligen Judenfrau.
Sie traf mich mit diesem Wort, was sie vielleicht gar nicht bemerkte, oder vielleicht wollte sie mich treffen.
Aber sie würde sie schon noch ausmanövrieren. Hätte sie auf die Handelshochschule gewollt, hätte man ihre Bewerbung ohne weiteres unterstützt. Sie hätte diese Möglichkeit annehmen sollen. Blöd, wie sie sei, habe sie abgelehnt. Obwohl sie ja keine Sprünge machen dürfe, ihre Abstammung sei nicht eben gut. Besser gesagt, ihre Abstammung sei total schlecht. Aber wenn es etwas gebe, das sie nicht interessiere, sei es der Handel. Das überlasse sie den Juden. Sie lachte, ließ im Dunkeln ihre wunderschönen Zähne blitzen und rief, die werden ihre Philosophie vor mir nicht schützen können. Ihre Lippen und Zähne glänzten wie bei einer französischen Chansonnière. Sogar auf die Sporthochschule ginge sie lieber als auf die Handelshochschule, um ganz ehrlich zu sein.
Auf dem Gymnasium habe sie regelmäßig Korbball gespielt, es habe sich eine ganz gute kleine Mannschaft zusammengefunden, sie treffen sich manchmal sogar heute noch, und sie sei auch eine ganz gute Kurzstreckenläuferin, aber auch das Laufen habe sie aufgeben müssen.
Während sie redete, überlegte ich die ganze Zeit, wie ich meine anstößige Verblüffung gutmachen könnte. Was könnte ich denn über die Philosophie sagen, von der ich ja nichts wusste, aber es schien mir noch besser, sie mit etwas anderem abzulenken. Ich hätte fragen können, aber ich tat es nicht, welche Strecken in welcher Zeit sie gelaufen war. Etwas anderes hätte ich auch in Bezug aufs Laufen nicht fragen können. Ich hatte davon mindestens so wenig Ahnung wie von der Philosophie. Meine Befürchtung war nicht, dass ich mich mit meiner Uninformiertheit bloßstellen könnte, sondern ich hatte das Gefühl, dass mich dieses ganze dumme Gespräch von meinem Ziel wegstrudelte. In gefährliche Gewässer, oder es warf mich aus der Hauptströmung hinaus. Je länger wir redeten, umso weiter entfernte ich mich, umso ferner würden wir voneinander sein. Ich verstand schon nicht, warum sie die im Budapester Jargon verächtliche Bezeichnung Judenfrau verwendete.
Es war mir völlig klar, dass der Anstand etwas ganz anderes verlangte als das, was mein Denken wünschte, und dass sich mein Denken mit etwas anderem beschäftigte als mit dem, was mein Körper verlangte. Alle drei Kräfte strömten zur gleichen Zeit, aber jede trug mich in eine andere Richtung.
Etwas von diesen Kräften hätte ich zurückdrängen müssen, aber ich konnte nicht alles auf einmal tun.
Es ging nicht anders, wir mussten miteinander reden, und ich
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