Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
Vom Netzwerk:
stellen. Wieder schien sich ein Vorhang zu heben, damit wir uns besser sehen konnten.
    Trotzdem fragte ich, was das Problem mit der Chefin sei, es schien mir doch angebrachter, von jemand anderem zu reden als von uns. Aber auch ich duzte sie. Was hast du mit deiner Chefin. Über das Zittern meiner Beine hatte ich allerdings keine Gewalt. Ich fürchtete, meine Knie würden gegen ihren Mantel schlagen, und sie würde das wahnsinnige, demütigende Zittern bemerken. Was konnte sie mit einem solchen Nervenbündel anfangen, wie ich es war. Als hätte mich mit diesem Zittern plötzlich mein ganzes schreckliches früheres Leben eingeholt und überschwemmt. Sie riss wieder ihre Schultern hoch, und dieses dritte Schulterzucken sah nicht mehr so gut aus. In diesem dauernden Schultergezucke lag eine Kleinlichkeit des Charakters, nicht ich hatte sie in Verlegenheit gebracht, sie war wegen sich selbst verlegen. Sie wandte den Kopf ein wenig ab, als wolle sie doch lieber in die Ferne blicken, und wieder hatte ich ihren undurchsichtigen Kummer vor mir. Vielleicht wandte sie den Kopf auch ab, damit sich unsere Gesichter nicht so nah waren. Aber wieder spürte ich, dass das nicht mir galt, nicht meinem Atem, sondern eher ihr selbst. Dass meine Nähe sie nicht störte, sondern dass sie damit vielmehr ihre eigene Nähe zu mir ermaß. Dass sie jedenfalls meine Nähe nicht abweisen, sondern Zeit gewinnen wollte, um abzuwägen, was sie tun sollte oder konnte. Woraufhin sie dann natürlich nicht tat, was sie hätte tun können, da auch ich es nicht tat.
    Wir fielen nicht übereinander her, verbissen uns nicht ineinander wie brünstige Tiere. Meine Knie zitterten weiterhin unkontrolliert.
    Übrigens irrst du dich, sagte sie, während sie in die lichtgefleckte Perspektive der Straße starrte, meine Chefin und ich kommen ganz gut miteinander aus. Bloß wolle sie nicht ihr ganzes Leben in einem solchen elenden Lokal verbringen. Süßigkeiten hasse sie sowieso. Sie möchte sich gern auf der Abenduniversität einschreiben, wenn sie schon an der gewöhnlichen nicht studieren könne. Doch dank des Wohlwollens ihrer lieben Chefin habe man ihr die Empfehlung vom Arbeitsplatz verweigert, und so dürfe sie auch dort nicht studieren.
    Ich kann nirgends studieren.
    Inzwischen schien sie an etwas anderes zu denken, oder sie redete nicht gern von diesem Thema. Ziemlich zerstreut fragte sie, was ich denn studiere, und blickte kurz zu mir auf. Ihr Gesicht blieb ernst, vielleicht war sie neidisch, dass ich studieren durfte. Vielleicht interessierte es sie wirklich. So wie es mich wirklich interessierte, warum sie nicht studieren durfte. Ich wagte meine Beine nicht zu bewegen oder sonst etwas zu tun, irgendetwas, damit das Zittern endlich aufhörte, ich fürchtete, mit jeder Bewegung die Nähe zu zerstören. Dann würde sie sich noch mehr zurückziehen. Als gäbe es ein Gebiet, das ich schon erobert hatte, und diesen heimlichen Besitz dürfte ich nun nicht mehr preisgeben. Ich verstand selbst nicht, auf welche Art Wörter aus mir kamen und überhaupt, was ich da tat, denn plötzlich log ich, ich besuche die Sporthochschule. Ich verstand wirklich nicht, warum ich das sagte. Als hätte ich gerade da beschlossen, dass ich mich ihr nicht ausliefern durfte, meinen Absichten zum Trotz. Vielleicht weil sie eine verheiratete Frau war und das auch ernst nahm. Höchstens zwei Tage kann das dauern, schien ich mir zu sagen, höchstens heute und morgen, oder vielleicht auch nur diese eine Stunde, jedenfalls eine absehbare Zeit, der sie oder ich beliebig ein Ende machen können, nur ein kleines Abenteuer. Aus einer solchen Lüge kämpft man sich nicht so leicht heraus. Ich hatte damit wohl Herr einer Lage bleiben wollen, die mir schon entglitten war. Ich konnte mich nicht aus ihr retten, aber die Angst ließ ich doch zu Wort kommen. Als sie wieder zu mir aufschaute, suchte sie nicht mehr meinen Blick, sondern sah eher auf meine Stirn oder vielleicht auf mein Haar. Wahrscheinlich deswegen glaubte sie meine Lüge. Es überraschte und enttäuschte mich etwas, dass sie es schluckte, dass sie mir aufsaß. Sie hielt sich mit beiden Händen am Riemen ihrer Umhängetasche fest. Als wäre sie nahe daran, mir über das stoppelige Haar zu streichen. Ich weiß es nicht. Als wollte ich nicht, was ich gewollt hatte. Eine so unmögliche Lüge hatte ich nur auftischen können, weil mein Haar tatsächlich so kurz geschnitten war wie bei Sportlern. Oder ich weiß auch nicht, warum.
    Der Satz

Weitere Kostenlose Bücher