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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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skandalösen Szene und ihrer eigenen politisch begründeten Aufgebrachtheit beschäftigt, dass sie nicht bemerkte, was unter dem Tisch ablief, was sich da zwischen den beiden größeren Kindern vorbereitete.
    Unterdessen sagten die Erwachsenen nach wie vor ihre Sprüche her, fielen sich ins Wort, die Wörter des anderen in den Boden stampfend.
    Punkto Stimmvolumen war Baronin Thum am lautesten, vor ihr hatten die Kinder am meisten Angst. Sie schämte sich tödlich für Gräfin Imolas provokantes Benehmen, und die mehrfachen Schraubendrehungen an ihrer Eifersucht ließen sie fast explodieren; sie redeten alle aneinander vorbei, übertönten einander, das Stimmengewirr verstärkte sich, obwohl jeder wusste, dass er den anderen ausreden lassen sollte, hören tat er ihn ja schon. Man müsste sich beruhigen. Siegfried wurde vor gespannter Aufmerksamkeit immer bleicher; er war der Einzige, der seine hübsch geformten Lippen nicht zum Sprechen öffnete.
    Ein seltsam blutarmes, an den Schläfen blasses Knäblein, das häufig ohnmächtig wurde, was seinen Vater noch unzufriedener machte.
    Für einen Jungen war er zu hübsch, die Erwachsenen betrachteten ihn mit Befremden und einiger Unsicherheit. Er wartete fast darauf, dass ihn seine Schwester unter dem Tisch unbedacht oder absichtlich treten und damit das Toben, das sich bei allen ausbruchbereit angestaut hatte, auslösen würde. Er wünschte sich einen kleinen Schmerz, eine heimliche Strafe, um seiner schwelenden Gereiztheit freien Lauf lassen zu können.
    Wenn er ohnmächtig wurde, wurde er mit kaltem Wasser übergossen, geohrfeigt, mitsamt der Kleidung in die Badewanne gesteckt und kalt abgeduscht. Die zornig ausgeteilten väterlichen Ohrfeigen spürte er noch nach Tagen, als hätte sich seine Kinnlade gelockert oder ausgerenkt, und das Sprechen fiel ihm schwer. Umsonst flehte und schwor er, er würde nie mehr ohnmächtig. In der Tiefe seiner Seele trug er seinem Vater diese strengen Maßregelungen nicht nach, da er seltsamerweise wusste, dass sein Vater wusste, was für ein schreckliches Schicksal ihn erwartete, was immer sie für oder gegen ihn taten.
    Wenn sein Vater urinieren ging, schlich er ihm ehrfürchtig nach.
    Er bewunderte den Vater, als hätte der es schon einmal dank großer Selbstdisziplin geschafft, ein solches Schicksal zu vermeiden.
    Als wüssten sie beide alles voneinander.
    Der Vater hatte ein phantastisches Schicksal, alle achteten und bewunderten ihn. Zu seiner eigenen Rettung wollte sich der Junge seine Gewohnheiten aneignen. Auch wenn er nicht annahm, in die Fußstapfen eines so großartigen Menschen treten zu können. Er ging in der Verehrung seines mächtigen Vaters so weit, dass er, wenn der das Örtchen ahnungslos verlassen hatte, hineinschlüpfte, sich einschloss und über die Schüssel gebeugt den Geruch seines Urins einatmete, ach, seinen Stuhlgang, die kleinsten Ausscheidungen und Spuren, er musste es tun, alles. Die schmutzigen Hemden und Unterhosen aus der Wäschetruhe holen, auch an ihnen meinte er den Duft seines Urins zu riechen.
    Er konnte nicht wissen, wie rücksichtsvoll, wie einfühlsam sich der Vater gegenüber der Mutter verhielt, einer hervorragenden Mutter und beispielhaften Gattin. Die Spiele der Samstagnacht schätzte sie allerdings nicht so, und als sie nach Siegfrieds Geburt vom Kindbett aufstand, beschloss er höchst opferbereit, es ihr wöchentlich nur noch einmal zu besorgen, um sie nicht unnötig zu belasten.
    Man könnte nicht sagen, dass ihm das leichtfiel, auch wenn sie es ja nie so machten, wie er es gern gehabt hätte, und so fiel der Verzicht auch wieder nicht besonders schwer.
    Jeden Mittwoch, am späten Nachmittag oder am Abend, wenn er mit geöffneten Lippen und halbgeschlossenen Augen auf die glatte weiße Wand starrte, um die sorgfältig und zielgerichtet ausgesuchten, nunmehr überstrapazierten Erinnerungsbruchstücke der Erlebnisse in der Kriegsgarnison heraufzubeschwören, in denen weniger kopulierende Männer und Frauen die Hauptrolle spielten, als vielmehr ihre Gliedmaßen und Geschlechtsteile, weshalb die Bilder auch mit dem, was er von seiner Frau gewünscht hätte, nichts zu tun hatten, machte er, damit sich Luthers in der Woche zwier erfüllte und er weder seiner Frau noch seinen Mitarbeitern gegenüber neurotisch gereizt war, es sich rasch selbst.
    Sie konnten nicht wissen, dass der kleine Junge, wenn er aus dem Klosett herauswankte, vor übergroßer Liebe ohnmächtig wurde.
    Wenn sie mich noch

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