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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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verfügen.
    Die Rassenreinheit ist kein Selbstzweck, damit wir uns da nicht missverstehen, keine fixe Idee, sondern die biologische Voraussetzung für das Fortbestehen der Rassen.
    Mit seinem Vorschlag wollte er noch nicht kommen, vielleicht wenn er die Angelegenheit mit Karla geregelt hatte, nach dem Kaffee, beim Abschied.
    Aber er passte auf, achtete auf die Wirkung seiner Worte, wobei er den fachlichen Widerspruch der in gespanntem Schweigen verharrenden Baronin als zerstörerische, eifersüchtig brodelnde Kraft durchaus spürte. Er war ihr dankbar, dass sie sich nicht äußerte, ihr Gift nicht verspritzte. Deshalb redete er so professoral, jede Frage, jedes Problem, jeden Nebengedanken und jeden Zweifel von vornherein unterbindend, um der offensichtlich sehr aufnahmebereiten Gräfin die Laune für ihr späteres gemeinsames Unternehmen nicht zu verderben.
    Auch wenn dieses Spiel auf Nummer sicher mit der beruflichen Realität tatsächlich nicht viel zu tun hatte.
    Um die vorhandenen Daten für die Volksgesundheit nutzbar zu machen und damit das im neuen Gesetz verankerte System der Rassenaussonderung wenigstens nachträglich zu rechtfertigen, hätten sie aus immer weiteren Quellen schöpfen müssen. Sie müssten Gottes Datei haben, dachte er manchmal verärgert und unerbittlich zielstrebig. Und es kamen ihm Zweifel, weil sie ein mächtiges System auf Hypothesen aufbauten, einen kostspieligen Apparat, der mit so wenigen Daten nicht einmal nachträglich, nicht einmal laufend gerechtfertigt werden konnte, und er hielt auch die Methode der Datenbeschaffung für unzureichend, durfte also die bestehende Datensammlung nicht als relevant ansehen.
    Wir sind so eingefleischte Materialisten, dachte er, dass wir einen materiellen Zugriff auf die Datenbank der Schöpfung suchen. Das ist das Problem, dass wir die menschlichen Gegebenheiten nur als Material, als materielles Phänomen auffassen.
    Das ist Unsinn, unter normalen Menschen wäre das Gegenstand des allgemeinen Spotts.
    Die wichtigste, streng geheime Quelle dieser greifbaren Daten verwaltete Assistent Mengele. Das ganze gemischte beziehungsweise jüdische Material. Aus Rom kamen Sonderdateien hinzu, afrikanisches und südeuropäisches Quellenmaterial, womit die Vergleichsbasis gesichert war, während die Kollegen in Oslo und Stockholm, wo es kein eigenes Institut gab, Angaben über die rassenmäßig relativ rein gebliebenen nordischen Völker lieferten. In seinen hoffnungslosen Stunden sah er klar, dass nicht einmal zehn weitere Institute und zehn Menschenleben ausreichen würden, die erforderlichen exakten Angaben zusammenzutragen, anhand derer die Hypothesen verifiziert werden könnten.
    Schon längst hätte Budapest das Zentrum für die Erforschung des slawischen und balkanischen Gemischs sein müssen. Er mochte aber den in jeder Hinsicht hilfsbereiten ungarischen Kollegen seine geheimste Datei, die Untersuchungen über die Spermabeschaffenheit, den Penis und die Vagina, nicht anvertrauen.
    Unter dem Patronat dieser Frau hingegen ließe sich in Budapest mit ungarischer Finanzierung ein deutsches Institut ins Leben rufen, wohin er die Baronin ruhig ins Exil schicken könnte, und dann müsste er sich auch nicht mehr ständig mit Professor Orsós herumschlagen.
    Jetzt gerade fürchtete er nicht nur das schonungslose Fachurteil der Baronin, ihr Schweigen war fast greifbar, sondern auch die Vorwürfe seiner Frau.
    Wenn er alles den Wünschen seiner Frau gemäß tat, so geschah es keineswegs aus innerer Überzeugung.
    Vererbung und Umwelt, diese beiden Urantriebe der Entwicklung und des Fortschritts, sagte er, strahlend vor obligater fachlicher Begeisterung, sind eindeutig trennbar und müssen auch getrennt werden.
    Jetzt gab es kein Halten mehr. Jetzt konnte er seiner Frau nicht mehr entgegenkommen, was er selbst nicht verstand.
    Bei dem etwas pathetischen, etwas professoralen Ton bleiben, mahnte er sich unterdessen zur Geduld.
    Das lässt sich nur im völkischen Staat durchführen. Für den Bestand an Erbgut und die Gesundheit der Umwelt kann ausschließlich der völkische Staat Gewähr bieten, sonst niemand, und um das zu erreichen, muss das Individuum unter strenger wissenschaftlicher Aufsicht stehen.
    Er lachte breit auf. Außer der Baronin Thum verstand allerdings niemand seine von Grausamkeit und Willkür geblähte gute Laune.
    Baronin Thum hatte aber im Augenblick anderes zu tun, sie packte die Gelegenheit beim Schopf und warf einen raschen Blick auf sein Gebiss.

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