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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Sie stellte eine reale Gefahr dar, keine eingebildete. Er hatte die entschiedene, gehätschelte und wahrscheinlich unumstößliche Absicht, sich umzubringen, was unter ihnen kein Geheimnis war, sie hatten ihn schon einmal gemeinsam aus der Nähe des Todes zurückgezerrt.
    Das war vor rund zwei Jahren gewesen, und seitdem waren ihre Gespräche wie ein aussichtsloser Hindernislauf. Sie hätten die Erinnerung an dieses brutale Erlebnis verdrängen müssen, aber da das nicht gelang, fühlten sie immer wieder, dass alle ihre Sätze falsch klangen. Etwas hatte sich aufgetan, und gerade weil sie sich damals noch näher gekommen waren, konnte man es nicht mehr verschließen. Zugleich wussten sie alle drei, dass die Sache im Fall einer Untersuchung nicht verschwiegen werden konnte. Aber eingestehen ließ sie sich auch nicht, nach so viel Zeit. An diesem für sie heiklen Punkt wurde André Rott häufig schwach, und um nicht aus ohnmächtiger Wut in kindische Tränen auszubrechen oder, noch schlimmer, in hilfloser und wahnsinniger Hysterie auf den anderen loszugehen, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich krampfhaft zu verteidigen.
    Hansi gingen gerade in solchen Momenten die peinlichen Unterleibswitze aus.
    Solange er aber hier vor ihm stand, nahm André die unverständliche Qual seines Freundes mit weit offenen Augen auf, um sich damit selbst Schmerzen zuzufügen.
    Er wollte Buße tun. Obwohl er in seinem tiefsten Innern dem Freund schwere Vorwürfe machte und ihn beschuldigte, ihn hasste. Er musste ihn hassen, denn mit seinen depressiven Anfällen schwächte er ihn, André. Die beiden anderen rechneten durchaus mit einer Untersuchung, die wichtigeren Einsätzen immer vorausging, aber André wusste konkret, dass die gegen Lippay tatsächlich bereits lief. An einem bestimmten Punkt würde man sich auch ihn vorknöpfen. Zudem war er neidisch und eifersüchtig auf Ágost. Wieso hatte man nicht mit ihm selbst begonnen. Entweder entschied er sich für die Freundschaft, dann musste er lügen, oder er entschied sich für seine Überzeugung und Berufung, dann musste er ihn aufgeben, und das würde er auch tun. Damit würde er sich selbst aufgeben. Es blieb nur eines, ihn anschwärzen. Ihn gravierend und grundlos anschwärzen. Ohne mit der Wimper zu zucken. Dazu war er aber vielleicht zu feig, vielleicht wirkte auch seine glaubensmoralische Erziehung immer noch stärker als seine Prinzipien. Einen solchen Verrat zu begehen hatte er nicht den Mumm, obwohl er aus Erfahrung wusste, dass der Verrat, je weiter er geht, umso effizienter ist, und damit auch umso lustvoller.
    Aber er hätte nicht entscheiden können, was lustvoller war, denn er liebte Ágost.
    Ach, das ist doch Blödsinn, sagte er leise und verlegen, während er, vom Fluchtinstinkt gelenkt, einen Rückwärtsschritt machte und mit einer einzigen raschen Bewegung seines Fußes die Kabinentür vor ihrer Nase zuwarf.
    Im selben Augenblick hob Hansi den Kopf. Irgendwie zögernd, als verließe er nur ungern den bequemen Liegeplatz auf Ágosts glattem, haarlosem Schenkel. Im Gegensatz zu André wusste er immer, wie er mit Ágost umzugehen hatte. Er verstand sehr gut, dass man an etwas leiden kann, das nicht richtig zu benennen ist und das auch die Ärzte nur mangels eines besseren Namens Depression nennen. André verstand das nicht, er regte sich auf, hielt das Ganze bloß für weibische Einbildung. Seine eigene Depression wollte er nicht wahrhaben, sah sie tatsächlich nicht, in dem dürren, erwachsenen Männerkörper steckte noch der kleine Junge. Auch Kovách hätte den Zustand zwar nicht beschreiben oder erklären können, aber er sah seine Tiefe, auch in ihm klaffte der stumme Abgrund, obwohl auch er lange Zeit nicht wusste, dass das, was er sah, das Nichts an sich war.
    Nichts.
    Und doch müsste man da etwas sehen oder fühlen.
    Sich von seinem genüsslichen Egoismus losreißen. Da war nichts Besonderes, bloß etwas nackte Hautwärme oder der fein aufsteigende Duft des anderen Körpers.
    Er setzte sich auf.
    Kovách strahlte ungeschlachte Güte aus, und zu seinem Naturell gehörte auch, physische Genüsse gierig und unvernünftig aufzusaugen und zu sammeln, als könne man von weiblicher oder männlicher Hautwärme oder dem Duft weiblichen oder männlichen Schamhaars einen Notvorrat anlegen.
    Wirklich, was redest du da, murmelte auch er, eher nur, um etwas zu sagen, den anderen mit dem warmen Ton seiner dunklen Stimme zu beruhigen, und mit seiner mächtigen, fleischigen Hand

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