Parallelgeschichten
Angst, es zuzugeben, alle suchen dafür einen Vorwand, eine Begründung, einen Bunker, ein Mauseloch.
So unanständige Dinge erwähne bitte nicht so häufig, mein Süßer, sagte der frühergraute Kovách, als wolle er Frieden stiften. András hat davor noch mehr Angst als vor dem Krieg.
Was du für einen Wettlauf hältst, ist in Wahrheit Aufrüstung, verbissene Aufrüstung, fuhr der dritte Mann noch lauter fort, um den anderen zu übertrumpfen. Durch billige Zwischenrufe ließ er sich nicht unterbrechen. Aus diesem unendlich langweiligen und tatsächlich völlig uninteressanten Schriftstück gibt es wirklich keine weitreichenden Schlüsse zu ziehen. Oder würdest du mir verraten, was dann der Unterschied zwischen meinem geliebten Vater und dir ist.
Keiner. Keiner, rief er, von seinem eigenen Gedanken erregt. Ihr könnt nicht von eurer gemeinsamen gesellschaftlichen Utopie lassen.
Ich würde gern wissen, wovon du redest.
Woran er sich von rechts klammert, an das klammerst du dich von links.
Bist du fertig, fragte André Rott, und die Schärfe in seiner Stimme passte nicht zu ihrer Freundschaft.
Nein, bin ich nicht, antwortete Lippay trocken.
Der ungewohnt scharfe Ton hatte alle drei gleichzeitig erschreckt, irgendetwas hatte sie aus ihrer gewohnten Stimmung gekippt, sie waren verunsichert.
Rott und Kovách stritten häufig, sie gerieten gleichsam pflichtgemäß aneinander, in friedlichen Bahnen war ihr Denken schwer vorstellbar. Ágost Lippay hingegen, der Dritte, Sohn von Professor Lehr, äußerte selten eine Meinung zu abstrakten politischen Themen. Lieber beobachtete er, wartete ab, manchmal fasste er, wie ein unbeteiligter Moderator, die Voten zusammen und kühlte damit die erhitzten Gemüter. Jetzt überraschte er sie mit seiner erbitterten Streitlust. Sie spürten, dass es wieder einmal nicht gut um ihn stand, wenn er ihnen den harmlosen Ulk so schlecht verzieh. Rott war in der Beschimpfung des mächtigen, sich des allgemeinen Hasses erfreuenden Professors wohl zu weit gegangen, als er sich über das streng vertrauliche Schriftstück ausließ. Er hatte beim anderen etwas provoziert, das der nicht spüren wollte. Einer der Autoren des streng vertraulichen Dokuments war der im Sterben liegende Professor. Natürlich hatte sich Rott nur so weit vorgewagt, hatte den heiklen Punkt nur berührt, weil sie normalerweise gemeinsam über ihn herzogen. Ágost lebte zwar unter einem Dach mit ihm, ließ aber den deutschen Teil seines Doppelnamens weg, um so wenig wie möglich mit ihm identifiziert zu werden. Der Professor seinerseits hatte in der Jugend seinen Namen hungarisiert, vergeblich, alle benutzten merkwürdigerweise seinen deutschen Namen.
Sei ihm nicht böse, kleiner Ágó, ließ sich nach einer peinlichen Pause Kovách vernehmen, dessen wirklichen Namen außer ihnen niemand kannte. Unser Fürst Andrej hat eben dieses Problem, sein Linkssein. Er trägt seinen Schwanz links, und auch seine Eier haben einen Linksdrall, du siehst es ja selbst.
Es ist unrealistisch, über die Art des Rüstungswettlaufs der Großmächte Reden zu halten, fuhr Lippay unverändert trocken fort, als habe er Hans von Wolkensteins beschwichtigendes Witzchen nicht gehört. Die realistische Frage lautet vielmehr, ob es zwischen Hinterland und Front einen Unterschied geben wird, und wenn nicht, auf welche Art dann der Nachschub gewährleistet wird. Wenn in einem neuen Krieg im Prinzip alles zum Kriegsschauplatz wird, stellt sich auch die nicht weniger brennende Frage, was für Bunker für die Zivilbevölkerung gebaut werden sollen, und wo, Himmelherrgott, und wie große und für wie lange. Keine Regierung vermag so große Bunker zu bauen, wie es nötig wäre. Es werden keine drei Wochen vergehen, bis man auch hier die Beschleunigung des U-Bahn-Ausbaus bekanntgeben wird. Ach so, antwortete Rott aus seiner Kabine besänftigt und ruhig. Der andere wusste also nicht mehr als er und hatte seine Absichten nicht durchschaut, sein Ansehen war intakt geblieben. Andererseits deuteten Lippays Worte darauf, dass er in seiner Verbitterung das Handtuch geworfen, aber wohl noch keine nicht wiedergutzumachende Dummheit begangen hatte. Rott hielt das Handtuch vor sich, scheinbar nur um die Ohren zu trocknen, in Wahrheit aber, um seinen Körper zu verdecken, sein Schamgefühl war wieder da. Du hast Angst vor dem Atomkrieg, Junge, fügte er nachdenklich hinzu, wobei er an etwas ganz anderes dachte.
Seit einer Weile blickten sie sich direkt in die Augen,
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