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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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kleinen Kreis oder in der, wie man hoffte, geschlossenen Gesellschaft, der man sich im Namen eigener Interessen angeschlossen hatte und wo man die Augenblicksbedürfnisse der Selbstachtung mit ein wenig gegenseitiger Schmeichelei befriedigte. Die inneren Spannungen waren groß genug, dass die Gruppe auch ein wenig selbständige Kraft hervorzubringen vermochte. Eine Kraft, die manchmal über die Verteidigung hinaus noch für den Angriff reichte oder sogar für die blutige Abrechnung.
    Der Leichtsinn, für den sie beneidet und verachtet wurden, die Fremdheit und das Außenseitertum waren das Markenzeichen der drei. Salonlöwen, so nannte man sie. Der Spottname bezeichnete ihren gesellschaftlichen Rang, ihre Strenge und Stärke hingegen verliehen ihnen Schutz. Bei Ágost sah nicht einmal seine eigene Mutter so weit durch, dass sie seine nervenaufreibende Gleichgültigkeit hätte erklären können. Sie las ihm die Leviten, ja, verurteilte ihn und nahm jede Woche einen Anlauf, ihn aus ihrem Herzen zu tilgen. In der Hoffnung, es würde dann nicht so schmerzen, dass das aus ihrem Jungen geworden war. Obwohl sie gar nicht recht wusste, was aus ihm geworden war. Ein Taugenichts, ein Niemand, ein Schmarotzer. Zugleich beruhigte sie ihr besorgtes Mutterherz damit, dass jeder Topf seinen Deckel findet und ihr Sohn wenigstens von diesen ihm ähnlichen groß gewordenen Schaumschlägern ernst genommen wurde. Wenn sie in der Wohnung an der Großen Ringstraße mit allerlei fürchterlichen Frauen aufkreuzten, schien ein Wind durch die geräumigen Zimmer zu fegen, und wenn sie wieder verschwunden waren, kamen Frau Erna Lehr, geborener Demén, wider alle Überzeugungen ihr gesamtes gepflegtes Mobiliar tot vor, ihr Leben wie eine Wüste und ihre qualvollen Bemühungen ohne Sinn.
    Was rede ich da, was nörgle ich ständig an ihm herum, wo mir ja auch nichts gelungen ist, sagte sie dann zu sich. Höchstens, dass ich den Schein eines vernünftigen Lebens wahre, nicht aber seinen Inhalt, und ich kenne den Preis dafür.
    Warum sollte mein Sohn ein solches Leben fortsetzen.
    Die schattiertere, vollständigere oder auch tragischere und edlere Seite dieser drei kannte niemand außer ihnen.
    Als der aufgewühlte Kabinenaufseher einen Augenblick später vom Ende des Gangs noch einmal zurückblickte, tätschelte und knutschte nicht mehr nur der weißhaarige Mann seinen apathisch auf der Bank hockenden Freund, sondern auch der andere kauerte vor ihm, den Bademantel gerade knapp zusammengebunden. Keine ihrer Bewegungen war so, dass sie den Kabinenjungen nicht erschüttert hätte. Die müsste man wirklich irgendwie auseinanderjagen. André griff jetzt mit beiden Händen nach Ágosts gespreizten Knien und stieß sie in verzweifelter Wut wie fremde Gegenstände zusammen, und während die beiden Gelenke hart und wahrscheinlich schmerzhaft gegeneinanderklatschten, redete er laut mit erstickter und fast drohender Stimme.
    Was ist jetzt schon wieder? Sagst du endlich, was jetzt schon wieder los ist? Antworte, Herrgott noch mal. Was ist schon wieder mit dir los?
    Er hielt Ágosts Knie fest, als hätte er wirklich die Absicht, sie zu zerquetschen, zu zerbröseln, wenn der andere nicht antwortete.
    Was soll schon sein, nichts ist. Was soll denn los sein, nichts ist los, antwortete Ágost schleppend und in gleichmütigem Ton. Ich verstehe nur einfach nicht, was du da redest, ich verstehe nicht, wie du die Modernisierung dem Fortschritt gegenüberstellen kannst.
    Nicht ich rede davon. Nicht ich stelle sie einander gegenüber. Nicht mich musst du besiegen. Aushalten musst du es, und das wirst du auch, ich schwöre es, weil ich dich sonst eigenhändig in dem Wasser da ersäufe. Sechs Jahre hast du durchgehalten, jetzt hältst du auch noch ein paar Monate durch.
    Wenn du wenigstens die Begriffe nicht klittern und vermischen würdest. Was du in der Prawda liest, vermanschst du mit dem, was du im Guardian liest.
    Verstehst du denn nicht, dass ich so wie du mein Schicksal ertragen muss.
    Wo, wo ist hier die Modernisierung. Das letzte Mal zu Beginn des Jahrhunderts oder zur Jahrhundertwende, als mein belämmerter Großvater dieses miefige Bad baute. Sieh dich um.
Ces sales connards
. Was willst du mit denen anfangen, das sind Leibeigene, stinkende Banditen von der Puszta.
    Ich werd es dir später erklären, Ágó, aber du verstehst wohl, dass wir jetzt nicht von politischer Philosophie sprechen. Ich bitte dich sehr, schone mich und weich nicht aus.
    Aber mich

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