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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Dávid hingegen erinnerte sich sehr wohl an die Mahnung, was er zu tun und was zu lassen habe, wenn er sich angenehme Träume wünsche. Er tat es auch nie mehr. Trotzdem hatte er immer wieder vage Gewissensbisse, wegen des Nichtgetanen. Jetzt beließen sie es dabei, sie kannten ihre Pflichten und kehrten wortlos nebeneinander ins Büro zurück.
    Der Pastor machte die verglaste Tür zu, schloss sie aber nicht ab.
    Ich selbst habe nichts Schlechtes geträumt, sagte er im Dunkeln zögernd und leise, aber ehrlich gesagt, ich kann nicht schlafen.
    Dávid blieb irgendwo in der Nähe der Tür stehen. Sein Großvater hatte wirklich nicht die Angewohnheit, von sich zu reden. Im ungelüfteten warmen Dunkel roch man die alten Möbel.
    Setz dich, bitte, sagte der Pastor kaum spürbar verschämt. Im Leben jedes Menschen gibt es schlaflose Nächte, weißt du.
    Es tat ihm gut, das auszusprechen, obwohl er das Geständnis für nicht ganz angebracht halten konnte. Es war, als brüste er sich unter dem Vorwand der Ehrlichkeit mit seiner Schwäche.
    In der allmählich entstehenden empfindlichen Stille knarrte es angenehm unter ihren Schritten.
    Wegen der Dunkelheit wusste Dávid, dass das jetzt ernst gemeint war und also die Schelte ausbleiben würde. Erleichtert tastete er nach einer Bank, und während er sich darauf niederließ, war er eigentlich der Nacht dankbar. Der Pastor setzte sich ans Harmonium, er hatte seinen Stuhl gleich zu dem Instrument gezogen. Unter seinen Füßen quietschte das abgewetzte Pedal des Blasebalgs, das Innere des Instruments stöhnte auf, knirschte, begann zu röcheln. Die Töne der spielerisch gemeinten Introduktion rangen so lange mit den widerspenstigen Geräuschen, bis das veraltete Instrument in der Melodie des Psalms einen mehr oder weniger regelmäßigen Atem fand.
    Es war eine Melodie von bescheidenem Register. Sie hörte nicht auf, sondern setzte immer wieder von neuem an. Jetzt wiederholte sie sich schon zum dritten Mal, als der Pastor einen entsetzlichen Schrei ausstieß.
    Witwen und Fremdlinge erwürgen sie und töten die Waisen, sang er.
    Seinen durchdringenden Bass vertraute er nicht dem Bogen der Töne an, die er dem alten Instrument entlockte, er maß sich nicht mit den unangenehmen Geräuschen, sondern er ließ die Dunkelheit erklingen. Unterdessen nahmen seine Hände den Schrei nicht zur Kenntnis, sie liefen weiter über die Melodie. Als er sie zum siebten Mal durch die uralten Pfeifen quälte, schmetterte er die separat laufenden Textbruchstücke noch lauter.
    Er erleidet alles stille, stille.
    Mit diesem Ruf brachte er seinem tauben Gott zur Kenntnis, dass er alles stille erlitt.
    Während der Pastor vor den Ohren des Enkels seine heikelsten theologischen Probleme hinaussang, war Balter in der Tür seines Hauses auf seinem Stuhl eingeschlafen.
    Was im Voraus festgeschrieben war und sich ereignen musste, geschah erst in der folgenden Nacht.
    Er träumte sich mit einem Ruck in den Schoß des kleinen Mädchens, an das er sich nicht erinnerte, das aber aus seiner Kindheit doch immer wieder zurückkehrte. Das eiskalte Licht des Mondes quälte ihn nicht mehr. Es hatte sich sacht von seinem Nacken zurückgezogen, ließ ihn mit dem Gewicht des kleinen Mädchenkopfes allein. Später erwachte er vom gleichmäßigen Quietschen der Grubenwagen im entfernten Steinbruch, aber er wusste nicht, wann das war, und wo. Um diese Stunde wurden die Gefangenen, die auswärtiger Arbeit zugeteilt waren, auf einer Sonderfähre herübergebracht. Balter lag auf dem Boden, so wie er im Tiefschlaf vom Stuhl gefallen war. Er meinte das Poltern der Füße auf der Fähre zu hören. Im Steinbruch von Dunabogdány war wöchentlich Schichtwechsel, aber Balter auf dem Boden konnte sein Gedächtnis noch so anstrengen, er erinnerte sich nicht, welcher Tag jetzt kam.
    Er erinnerte sich nur noch, dass die Ablösung jeweils Dienstagnacht hinüberfahren musste.
    Draußen dämmerte es im tiefen Grau der unheilschwangeren Landschaft.
    Sie wurden über die Insel getrieben, dann über die Brücke, den Hügel hinauf.
    Während des ganzen folgenden Tags hätte er eine Antwort finden müssen auf die Frage, wie Fußspuren vom Stamm des Aprikosenbaums zum Feldweg führen konnten, wenn es keine zum Baum führenden Spuren gab. Er fand dafür keine Erklärung.
    Als später die Polizisten es ihm sagten, nickte er, über seine eigene Dummheit mild lächelnd.
    Auf dem Pfad folgte er den Spuren noch ein paar Schritte lang, bis sie sich im

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