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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Wasserdampf.
    Die schönen nackten Männer dachten, er werde wegen der Abgase ohnmächtig.
    Ganz schön schwach, der arme Kerl, sagten sie lachend, der verträgt nicht einmal ein bisschen Benzinqualm. Aber es war wegen seiner üblen Vorahnungen. Er wusste nicht, wer er war. Wegen des entsetzlichen Bewusstseins, dass sich die Katastrophe ereignete, während er das Gebadetwerden so genoss, nicht anders konnte als es genießen, und sogar Milch in Aussicht stand.
    Er wusste zwar nicht, was das bedeutete, wer denn die Seinen wären, er suchte nach dem Sinn seines Entsetzens.
    Dann fiel ihm gerade noch ein, dass nicht sein Großvater an der Reihe war, sondern der Religionslehrer.
    Welch ein Glück.
    Von dort oben vom Glockenturm konnte er sehen, wie sie sich gleichzeitig aus zwei Richtungen näherten, in geschlossenen Formationen die Dunkelheit des frühen Abends mit ihren Scheinwerfern aufrissen.
    Jetzt zögerte der Religionslehrer nicht mehr, zum zweiten Mal an dem Tag schlug er die Glocke. Er tat es vorsichtig, berührte ihren dunklen Körper mit ihrer stumpfen Zunge nur gerade. Noch konnte man den durchdringenden kleinen Ton über der in Ruinen liegenden dunklen Stadt hören, als plötzlich ein entsetzliches Krachen, Knistern und Donnern folgte und ein Ton, der an einen einzigen Glockenschlag gemahnte, aber nunmehr von unter der Erde. Die Erde, das ganze halbtote Städtchen, die ganze Umgebung erbebten, die Menschen wurden aus den Betten geworfen, sogar die dicken Mauern des entfernteren Klosters von Venlo wurden erschüttert. In der Badehalle wurde es einen Augenblick still, die nackten Soldaten lauschten, man hörte nur das Rauschen des aus den Duschrosen strömenden Wassers.
    Die Glocke hatte im Stürzen das Gebälk unter sich zerhackt und war viereinhalb Meter tief in die Erde gekracht. Das schwere Pflaster des Marktplatzes brach auf und mit ihm die darum stehenden Häuser, sie hoben sich in die Höhe und fielen in sich zusammen. Das Pfarrhaus stürzte ein, anstelle der lutherischen Kirche blieb ein Steinhaufen zurück.
    Obwohl er wusste, dass es keinen Sinn hatte, nicht den geringsten Sinn, solche Dinge zu träumen. Er sollte aufwachen. Auch im Wachen würde er es verstehen.
    Das alles dauerte nur ganz kurz, dann herrschte bleierne Stille.
    Und doch erwachte er auf ein Brüllen, und hörte es weiterhin, so, wie er es im Augenblick des Aufwachens von sich gegeben hatte, um sich selbst zu wecken.
    An der Schlafzimmerdecke summte gelb und rot die Großstadt, als wäre es gar nicht Nacht.
    Und immer noch hatte er das Gefühl, dass er von allen den Dingen, über die er reden sollte, nicht reden durfte, dass dadurch der Schmerz wuchs und sich vertiefte, sosehr er auch dagegen kämpfte. Mit wem konnte er denn reden. Er war allein am Tag und allein in der Nacht. Zuletzt hatte er geträumt, er sitze wach und spüre einen Schmerz, als schnitte man ihm ohne Betäubung Arme und Beine ab, doch allem Schmerz zum Trotz durchschaute er seine Träume, was ihn wiederum aufrichtete. Er war über alles erhaben. Auch wenn sein Körper nur ein Stück Fleisch war, aus dem Blut sprudelte. Er wusste, was mit wem geschah, wusste auch, was er jetzt gerade geträumt hatte und was in der vorigen Nacht, er war glücklich, dass er den vielschichtigen Schein auseinanderhalten konnte. Er sah, was in seinem Traum geschehen würde, auch wenn er aufgewacht war und sein Bewusstsein nicht wacher sein konnte. Er sah, wie die englischen Motorradfahrer, die sich nicht darum kümmerten, dass soeben die Glocke heruntergekracht war und unter den Häusern des Marktplatzes Leichen lagen, vielleicht auch Lebende, alle Bewohner aus den Häusern jagten. Im Licht der blendenden Scheinwerfer ihrer Fahrzeuge lassen sie die beiden Stadttore zumauern. Diese Blutung ist nicht zu stillen. Alle hier müssen sterben. Bei vollem Bewusstsein muss ich meinen eigenen Tod mit ansehen. Er suchte nach Fakten, mit denen er sein Wissen präzisieren konnte. Stimmt, die Glocke ist tatsächlich heruntergekracht, sagte er sich, aber nicht damals und nicht auf diese Art. Es stimmt auch, dass Gerhardt Döhring nach vier Jahren aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt ist und wie irr eine Kartonschachtel suchte, die er angeblich seinem Cousin, Hermann Döhring, zur Aufbewahrung übergeben hatte, Isolde hingegen wollte von keinerlei Kartonschachtel wissen, und in der Gegend hatte keinerlei Lager existiert.
    Doch, es hatte existiert, niemand bestritt ja, dass Gerhardt ein Aufseher

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