Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
Vom Netzwerk:
riesiges, offenes Wasser, einen See, einen Fluss, er wusste nicht was, an dessen Ufer die Menschen in dichten Reihen lagen. Eine Badehose hatte er nicht dabei, und er hatte auch keine rechte Lust, sich unter sie zu mischen.
    Das große Wasser schien eine langsame kleine Strömung zu haben.
    Er stellte sein Rad in gebührender Entfernung von den Badenden ab, setzte sich und betrachtete sie. Nicht so sehr die im Wasser schreienden Kinder oder die zwischen den Strandkörben ballspielenden Erwachsenen, sondern das Wasser, die eigenartige Masse der Luft, die langsam gleitenden Segelboote, diesen ganzen fernen, hohen Himmel. Das war die öffentliche Welt, er aber kannte bereits die heimliche. Er hatte keine Zweifel, wohin er gehörte. In Wassernähe war die Luft nicht ganz dunstfrei, es ging auf den späteren Nachmittag, doch über den bläulich grünen Wäldern des anderen Ufers stand noch in gleißender gelber Glut die Sonne. Und am Himmel zogen ganz langsam drei kleine Wolken auf sie zu. Es verging eine lange Zeit, bis sich die eine kleine Wolke vor die Sonne schob und alle darauf warteten, dass sie endlich weiterrückte.
    Sie rückte aber nicht weiter.
    Sondern auch die beiden anderen schoben sich langsam in sie hinein. Zuerst setzten sich die Sonnenbadenden auf und schauten hoch, na, wird’s bald. Dann fischten die Eltern ihre Kinder aus dem Wasser, denn der Wind legte zu, was gar nicht angenehm war.
    Die Leute wussten noch nicht, dass der Sommer vorbei war, aber sie begannen ihre Sachen zusammenzusuchen.

Döhrings Traum geht weiter
    Allmählich wurde alles still und weiß und von lauter süßer Leichtigkeit.
    Zuerst setzten sie ihn auf eine Bank, dann stellten sie ihn auf. Sie diskutierten darüber, wie sie es anfangen sollten. Er ließ sie, kümmerte sich um nichts, auch wenn es ihm peinlich war, dass sich gleichzeitig zwei mit ihm beschäftigten. Sie nahmen ihm die Jacke ab. Er hätte bestimmt protestiert, hätte er reden können, um die Jacke war er besorgt. Es war keine besonders gute Jacke, aber ohne sie wäre er nicht bis hierher gelangt. Sie warfen sie beiseite. Schälten seine langen Arme aus dem Hemd, lösten seinen Hosenbund. Der Pater, der gemeint hatte, im Sitzen ginge das leichter, behielt recht.
    Ich sag’s doch, so ziehen wir den nicht aus.
    Die Hose hätten sie über die Schuhe streifen können, die lange Unterhose aber sicher nicht. So setzten sie ihn rasch wieder auf die Bank. Vertraute Gerüche schwebten im dichten Dampf, Kamille herrschte vor, er sah sich, wie er in dieser unglücklichen Aufmachung auf einer vertrauten Sommerwiese stand, wo die Kamille üppig blühte.
    Er wollte sagen, das komme nicht gut, getraute sich aber nicht.
    Ein erstes Mal wurde er ohnmächtig, als die beiden Männer ihm die Schuhe auszuziehen versuchten, klar, dann hätten sie zusammen mit der zerfetzten Unterhose die gestreifte Hose herunterziehen können, die innen ganz verdreckt war. Er würde jetzt entlarvt werden. Er sah schon voraus, wie sie brüllen und ihn verprügeln würden. Es machte ihm eine tückische Freude, dass seine Füße die Schuhe nicht losließen. Damit gewann er Zeit. Schwach, wie er war, würde das Fleisch eine weitere Tracht Prügel nicht überleben. Die hingegen waren wohlgenährt, zwar nicht mehr jung, aber kerngesund, die schlugen bestimmt ganz schön zu. Das kannte er gut, den Genuss, wenn der Tod noch einen Aufschub gewährt. Die Holzpantinen mit dem groben zerlumpten Tuch und den drei Knöpfen, blutig und eitrig mit seinen geschwollenen Füßen verwachsen, hatten seine Fußlappen in sich hereingefressen. Er hätte die beiden Patres gern aufmerksam gemacht, sie sollten nicht rumknorzen, das sei nun mal so, das müssten sie akzeptieren, aber er brachte keinen vernünftigen Satz zustande, er wusste ja nicht, in welcher Sprache der sein sollte. Deutsch nicht. Viel eher konnte er sich noch einen Rest des Lebens vorstellen, in welchem er die Schuhe nicht mehr auszog.
    Es tat weh, dass es kein Deutschsein mehr gab, nicht mehr geben konnte.
    Lieber ließ er alles geschehen, ertrug es, geschehe, was wolle, was geschehen muss. Das fiel ihm am Ende nicht einmal schwer, sein Mund war ja voll vom klebrigen, süßen, vertrauten Geschmack der gezuckerten Milch, mochten sie also tun, was sie wollten.
    Er hatte das Versprechen, dass er nach dem Bad noch mehr bekommen würde, nicht vergessen.
    Wart doch, Sapperlot noch mal, bist du blind, rief entsetzt der Mönch, der hinter seinen Schultern stand und

Weitere Kostenlose Bücher