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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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ertastet hatte. Sie vier waren der Meinung, dass Kapitalverbrechen durch das Faktum der Besatzung nicht nachträglich sanktioniert wurden, dass Befehlsverweigerer, Vaterlandsverräter, Saboteure und Deserteure ihrer gerechten Strafe nicht entgehen durften. Es lag an ihnen, diese Angelegenheit zu erledigen, hinter dem Rücken der Besatzungsmacht, in größtmöglicher Stille. Zwei der Deserteure, die sich glücklich durch die ersten Jahre der Besatzung durchgewurstelt hatten, verschwanden spurlos, und damit es über den Grund ihres Verschwindens keinerlei Zweifel geben konnte, wurde ein Dritter tot aufgefunden. Und da war noch eine dunkle Angelegenheit, die Gerhardt Döhring unbedingt aufdecken wollte. Wenn die Krankenbaracke anständig in Brand gesteckt worden war, warum war sie dann nicht völlig abgebrannt und vor allem, wie hatten Häftlinge aus ihr entkommen können. Genauso besessen wie die Kartonschachtel suchte er die Antwort auf diese Frage.
    In seinem Traum aber musste er, gegen die Meinung der Familie, einsehen, dass Gerhardt Döhring nicht verrückt gewesen war. Die Unausweichlichkeit seiner eigenen Geschichte hatte ihn gequält und nur der Mangel an akzeptablen Lösungen hatte ihn später in den Wahn getrieben. Mit Morden ließ sich die Niederlage nicht sühnen. Das sah er jetzt ganz klar, während er die Unerträglichkeit dieser neuen Erkenntnis durchlebte. Mit ihr würde er dem Onkelchen, der in ihm lebte, in den Wahn folgen.
    Die Dörrkammer wurde zweimal jährlich beheizt.
    Gab es viel Obst, schloss sich eine Heizperiode gleich an die andere an, und beide zusammen konnten bis zu einem Monat ausmachen. Die zweimal jährlich erhitzte Kartonschachtel hätte in ihrer Vertiefung in vier Jahren ohne weiteres Feuer fangen können.
    Von Döhrings beiden Töchtern war Isolde die Faulere gewesen.
    Nach dem schrecklichen Tod ihres Vaters blieben alle schweren Arbeiten am einzigen Sohn hängen. Die Witwe versuchte zwischen den dreien ein Gleichgewicht herzustellen. Sie saß dauernd Isolde im Nacken, weil sie nicht wollte, dass sie auf Kosten der beiden anderen auf der faulen Haut lag, und so war es Isolde, die in jenem Winter allein auf den Hof hinausgeschickt wurde, um die Dörrroste zu säubern. Das sei keine Arbeit, für die es unbedingt zwei brauche. Und wenn sie Angst habe, solle sie sie bekämpfen. Wie sie die Roste herauszog, fand sie auf einer der Pfannen, die den Saft aufzufangen hatten, zwischen den verkohlten Fetzen der Kartonschachtel einige glänzende Gegenstände. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Den großen Haufen Gold fand sie ein paar Minuten später in der Vertiefung. Es war klar, wer es unter welchen Umständen dort versteckt hatte.
    Zum ersten Mal im Leben war sie sich ihrer Sache sicher.
    Obwohl deswegen schreckliche Dinge geschehen waren.
    Vom Entsetzen, dass ihn sein Traum Dinge sehen ließ, die bisher noch nie jemand aufgedeckt hatte, wachte er endgültig auf.
    Als er um sich herum das vom gelben und roten Widerschein der nächtlichen Stadt dämmerige Schlafzimmer mit seiner offenen Tür nun wirklich sah, hoffte er noch einen Augenblick, dass die Scheiße zum Traum gehöre.
    Nur eben, sie gehörte mitsamt ihrem Gestank zur Wirklichkeit.
    Er zog die weiten Beine der gestreiften Pyjamahose bis zu den Knien herauf, hielt sie zusammen, stieg aus dem Bett, so floss ihm die Scheiße wenigstens nur bis zu den Knien. Da war immer noch genug auf der Bettwäsche. Er machte kleine Schritte, die zwischen seine Hinterbacken geklemmte Wurst trug er ein paar Schritte lang mit, doch kaum hatte er das nahe Badezimmer erreicht, fiel sie herunter und auseinander.
    Da floss und verschmierte sich schon alles, wie nach einem brutalen Mord das Blut.

Nu féminin en mouvement
    Er hatte sie bis oben hin.
    Es war ganz klar, dass Tugend, Treue und Anhänglichkeit, wie er sie von sich verlangte, in Wahrheit schamlose Heuchelei waren, Lüge und Feigheit, ich bin doch einfach schwul. Er hätte es laut sagen sollen.
    Ich starre den Männern nach, das gestand er sich jetzt ein.
    Trotzdem hatte er sich nichts vorzuwerfen.
    Eher verhielt es sich so, dass er mit den Frauen nicht klarkam, und obwohl er nichts so sehr suchte wie ihre Gesellschaft, hatte er Angst vor ihnen. Er hätte nicht sagen können, wovor genau er Angst hatte, es wäre ihm schwergefallen, auf der Karte seiner Angst die Gebirge und Gewässer einzutragen, doch er beobachtete die anderen Männer so lange, ob auch die Angst hatten, oder warum sie

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