Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
Vom Netzwerk:
beobachtete, was der andere Pater mit den grauenvollen Hufen des Jungen anstellte.
    Der ist da hineinverklebt.
    Was heißt verklebt, verrottet, sagte der Mönch gereizt, der vor seinen Füßen kauerte und sich Mühe gab, den Schuh so zu halten, dass er seine Kutte nicht verdreckte. Er zog ihn nicht ganz an sich heran, seinem Gesicht war der disziplinierte Ekel anzusehen, aber immerhin, er schaute in den kurzen Schaft der Schuhe, bohrte mit den Fingern blind und vorsichtig hinunter. Mal griff er in Weiches, in Schlamm, in Dreck, in Rutschiges, in geronnenes Blut, dann wieder auf nacktfeuchten Knochen.
    Das müsste man abschneiden, er schaute auf, grinste, mitsamt den Füßen, er wisse nicht, was zu tun sei, murmelte er verzweifelt, während er nichts fand, um seine Finger abzuwischen.
    Noch ein Glück, dass du es immer weißt.
    Er war aber zu einem Schluss gelangt, nämlich dass nichts anderes übrigblieb, als den Schuh mit einem einzigen energischen Ruck abzureißen.
    Wieder blickte er zum anderen auf, jetzt aber ohne zu grinsen.
    Hältst du seine Schultern fest, sagte er.
    Wozu denn, fragte der andere gereizt.
    Da ließ sich der Junge vernehmen, er wollte ja doch nicht, dass es Prügel gab. Um ehrlich zu sein, sagte er leise, habe ich mir schon vor einiger Zeit in die Hose geschissen.
    Er hätte gern erklärt, sie sollen doch verstehen, er könne nichts dafür, als er oben auf einer Böschung stecken geblieben war und zwei ihn geschlagen hatten, worauf er schließlich doch auf die andere Seite der Böschung hinübergefallen war. Doch kaum hatte er es ausgesprochen, brüllten die Mönche schon. Bloß war es kein Brüllen, sondern Gelächter, in welchem ihre Fröhlichkeit kaum unterzubringen war.
    Was er nicht sage, brüllte der eine halb erstickt, das ist ja ganz großartig. In die Hose geschissen.
    Wer hätte das gedacht.
    Seit einer halben Stunde genießen wir nichts anderes als den Duft deiner Scheiße, du Trottel, jubelte der andere, der Dickere, und umarmte ihn von hinten, zog ihn an sich und begrub sein Gesicht und seine Schultern in den Ärmeln seiner Kutte, tunkte ihn gleichsam in den heimischen Geruch der süßen Füllung saurer Drops.
    Halt ihn fest, den stinkenden Judenhund, lass ihn ja nicht los, rief da der Erste.
    Er kam wieder zu sich, als ihn in der träge dunstigen Stille schon die großen, nackten Männer umstanden.
    Beide Schuhe steckten an seinen Füßen, als wäre nichts geschehen.
    Jemand brachte gerade warmes Wasser, sie gossen es hinein, was nicht viel nützte, es floss gleich wieder heraus.
    Inzwischen waren die beiden Mönche verschwunden.
    Als träumte er, er müsse aufwachen, oder als wären sie vom Erdboden verschluckt. Weil sie nicht da waren, hatte er den Eindruck, dass das alles tatsächlich ein Traum war, dass er durch den einen schmerzlichen Traum bloß den andern ersetzte. Anstelle des Mönchs von vorhin kauerte ein großer, nackter Mann vor ihm, sein langes, nachtschwarzes Haar fiel ihm feucht in die Stirn, er runzelte etwas misstrauisch die schwarzen, buschigen Augenbrauen, beobachtete alles aus lebhaften, engliegenden Augen, und er redete, zu ihm, der jedes Wort verstand, auch wenn er nicht zu sagen gewusst hätte, was das für eine Sprache war. Als hätte er sie noch nie gehört.
    Der Fremde sagte, er sei Leutnant, sagte auch seinen Namen, irgendein Leutnant irgendeiner Armee, Royal Air Force vielleicht, und er warte neugierig darauf, dass auch er vielleicht seinen Namen sage, und wo er geboren war, woher er komme.
    Woher man ihn verschleppt habe.
    Ja, woher wohl.
    Die Lippen des Leutnants öffneten sich halb, er neigte sich ganz nahe heran, blitzte freundlich mit gesunden weißen Zähnen, doch dann ließ er unzufrieden die dichten schwarzen Augenwimpern flattern, denn auch ihm konnte er in dieser unbekannten Sprache nur die Zahl angeben. Die fünfstellige Zahl, so wie sie war, so wie man sie an seinem linken Unterarm sehen konnte, die zeigte er anstelle seines Namens. Warum sollte er sie verschweigen, wenn man sie ihm anstelle des Namens gegeben hatte. Jemand hielt ihn am Arm, hielt den Arm fest und zog den Finger darüber, als müsse er die Echtheit der Ziffern prüfen, nicht ohne eine Spur Mitleid. Vielleicht hätte er seinen Namen sagen können, wenn er über diese Frage nachgedacht hätte, aber er wollte nicht, und so fiel er ihm nicht ein, nur ein wenig Nachdenken half nichts. Der Leutnant sah eher wie ein Italiener aus, jedenfalls stellte er sich die Ungarn nicht so vor.

Weitere Kostenlose Bücher