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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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gewesen und über der Suche durchgedreht war.
    Es hatte existiert, wiederholte gleichgültig eine fremde Stimme, vor der er nicht fliehen konnte.
    Er saß in seinem Bett und hatte das Gefühl, er müsse weiter so hartnäckig fabulieren und Lügen erfinden, weil er nicht wissen könne, wer er sei. Wer bin ich, wenn es ein Er gab, das mehrere Persönlichkeiten besaß. Es stimmt aber, dass Hermann Döhring an jenem Morgen auf seinem Hof umgebracht worden ist, auch wenn nie Licht auf die Sache fiel. Und doch fiel Licht, natürlich fiel Licht. Fast auf alles fällt Licht. Nur, wie bin ich dann auf diese Zwillingsbrüder gekommen. Warum verdächtige ich den einen des Mordes, während ich vom anderen sage, er sei auf dem Revier verbrannt. Sein Traum hatte das erfunden, damit er keinen Unterschied machen und verantwortungslos zwischen den beiden lavieren konnte. Wegen seiner Zwillingsschwester hatte sein Traum das erfunden, ihretwegen betrachtete er sich als Mädchen und konnte und wollte sich bis heute nicht von ihr unterscheiden. Deswegen hatte er ja Philosophie und Psychologie gewählt, um solche vertrackten Dinge gleichzeitig aus zwei Perspektiven beobachten zu können. Weil ich das alles nicht verstehe, klagte sein Traum weinerlich weiter, ich verstehe es nicht, kann es nicht verstehen, rief er. Und doch erwies sich das Traumwissen als stärker. In seinem Körper fühlte er ihre erschlafften, todbereiten Körper, beide Körper. Und dass sie lebten, war seine einzige Entschuldigung. Das heißt, ich trage Leute in mir, die nicht ich sind, und blicke mit ihnen in Zeiten und auf Orte zurück, die es für mich gar nie geben konnte, oder ich blicke in Zeiten voraus, die ohne mich für niemanden kommen würden.
    Er drehte den Kopf verwirrt hin und her, denn er wusste zwar, wo er war, verstand es aber doch nicht.
    Bei ganz klarem Verstand kam ihm der Gedanke, dass ich, der ich das alles denke, vielleicht nicht ich bin. Andere leben in mir, die ich nicht kenne, oder sie haben mich einst in ihren Tod mitgenommen. Als hätte er im Traum sein jetziges Ich bei ihnen gesucht, wäre aber wegen der Scheiße aufgeschreckt, während er fühlte, dass er, so gern er sich selbst unter diesen vielen ausgewählt hätte, nicht er war, dass er sich nicht fand, dass er kein Ich hatte und es ihn nicht gab.
    Er fand höchstens seine Zwillingsschwester, und wahrscheinlich befremdete sie ihn deswegen so.
    Er verstand nicht, warum er den starken Scheißegestank roch, und wer es dann war, der ihn roch.
    Mein Traum ist voller Scheiße. Aber er vermochte die empirische Erfahrung nicht als einzig mögliche Erklärung zu akzeptieren.
    Zuerst versuchte er, dem Problem auszuweichen, indem er es als eine philosophische Frage fasste, was aber längst nicht erklärte, warum er ganz konkret den durchdringenden Gestank roch.
    Das konnte zwar nicht die einzig mögliche Erklärung sein, aber immerhin spürte er, dass da doch jemand war, der in einem fremden Bett in warmer, dicker Scheiße saß und über empirische Erfahrung nachdachte. Es war Isoldes Bett. Ich habe ins Bett geschissen, oder auch das träume ich. Dieser Jemand hat den Arschspalt voll, in der Pfütze des weichen Durchfalls war eine härtere, dickere Wurst, da im Spalt, im Pyjama.
    Unmöglich.
    Dann hätte draußen auf dem Hof nicht Döhring in die Hose geschissen, als ihn mein Zwilling umbrachte. Döhring bin ja ich. Oder nicht mein Zwilling hat in die Hose geschissen, als sie ihn von der Böschung zurückzerren wollten und mit genagelten Latten schlugen, auf seinen Kopf, auf seinen Rücken. Ich habe gar keinen Zwilling. Wie denn nicht. Ich bin der andere Döhring. Der in seiner eigenen Scheiße hockt wie ein kleines Kind. Obwohl das nicht erlaubt ist. Das gibt Prügel. Den Zwilling aber hat mein Traum nur erfunden, damit ich es doch nicht bin, oder damit ich mich umbringen kann, damit ich nicht meine Zwillingsschwester bin oder sie unter einem Vorwand endlich töten kann, um nicht immer selbst das Opfer zu sein.
    Was für einen Quatsch du zusammenphantasierst.
    Er hörte, wie seine Stimme in den nächtlichen Widerscheindämmer des Zimmers hineinbrüllte.
    Er spürte es, getraute sich aber nicht aufzuspringen, damit die dicke Wurst nicht herausrutschte, sein Bein entlang, damit der Dünnschiss nicht mitfloss. Was sollte er tun, was soll ich tun, rief er verzweifelt bei sich.
    Er hatte nicht gewusst, dass unversehrte, gesunde Erwachsene im Schlaf ins Bett scheißen.
    Vielleicht hatten die vielen

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