Parallelgeschichten
einmal von Norden in die Stadt ein und fuhr durch die Andrássy-Allee, dann wieder fiel er von Westen ein, von den Hügeln Budas her, und schlug dann auf der Ringstraße um sich. Sie mussten sich den Hut mit der behandschuhten Hand festhalten. Auch ihre Handtaschen pressten sie sich gleicherweise an die Brust. Womit Frau Erna auch einen kurzen Persianer zusammenhielt. Gyöngyvérs weit geschnittener, langer, blasslila Mantel hatte einen großen Zierknopf, unmittelbar unter dem runden Kragen, und wenn sie ihn nicht ebenfalls über der Brust zusammengehalten hätte, wäre er nicht nur aufgegangen, der Wind hätte auch daruntergegriffen. Gewicht, Beschaffenheit, Ausdehnung und Biegsamkeit ihrer Körper waren ganz verschieden, und doch erschien ihr Gang von hier oben gesehen ähnlich.
Beide trugen schmale Pumps mit hohen Absätzen, in denen sie eher nur trippelten. Die Windstöße ließen sie auf ihren nylonbestrumpften Beinen immer wieder ins Schwanken geraten.
Bevor sie am Gehsteigrand angelangt waren, stieß der Chauffeur von innen die hintere Tür auf, dann schnellte er selbst heraus, um der älteren Dame beim Einsteigen behilflich zu sein. Seine Zuvorkommenheit war überraschend, in jener Zeit kamen die Taxichauffeure ihrer Berufspflicht schon seit längerem nicht nach. Die Jüngeren wussten wahrscheinlich gar nichts mehr davon. Sie grüßten nicht, dankten nicht fürs Trinkgeld, und wenn es ihnen zu wenig war, machten sie unangenehme Bemerkungen. Frau Erna sah die kantigen Gesichtszüge dieses Mannes, der ungefähr in ihrem Alter war, nur einen Augenblick. Sobald sie den Kopf hob, um unter dem Hut hervorzusehen, schlug ihr Sprühregen ins Gesicht. Als kenne sie den irgendwoher.
Die drei Menschen schienen einen eigenartigen Opfertanz um das matt schimmernde kultische Insekt aufzuführen.
Sie stockten, stießen fast zusammen, wichen sich aus, gingen auf Distanz, warteten, beugten sich hinunter, bis die nassen Insektenflügel endlich über ihnen zugingen.
Hinter den geschlossenen Fenstern im zweiten Stock konnte man diese dumpfen kleinen Knalle nur gedämpft hören.
Kaum saßen sie drinnen, füllten sie das verrauchte Innere des Wagens mit ihrem Parfüm.
Der Chauffeur war ein Mann alten Zuschnitts, mit aufmerksam prüfenden, lustigen oder spöttischen, fröhlichen hellbraunen Augen, auch wenn sein Gesicht voller bitterer senkrechter Falten war. Solche Augen sind vertrauenerweckend. Er trug eine abgewetzte lederne Schildmütze, die er wegen des Winds tief in die Stirn gezogen hatte.
Herrschaftliche Chauffeure hatten früher solche getragen.
Frau Erna kam trotzdem nicht von dem peinlichen Gefühl los, dass er zur disziplinierten Schar der ausgemusterten Geheimdienstler gehörte. Aber wie konnte sie ihn dann kennen. Man sah ihnen irgendwie gleich an, dass sie vom Geheimdienst waren. Auch ehemalige Nonnen und Mönche verraten sich mit ihrem vorsichtigen Gang, ihrer kränklich blassen Gesichtshaut. Jeder wusste, dass die Mitglieder der aufgelösten ÁVÓ stark zusammenhielten und nur darauf warteten, sich wieder zu formieren und Rache zu üben.
Als sie auf dem Hintersitz Platz genommen hatte und der Mann ihnen erwartungsvoll den Kopf zuwandte, hatte sie keinen Zweifel mehr. Ein alter Geheimpolizist. Er schnippte sich mit dem Daumen den Schirm aus der Stirn, fragte, wohin es gehen solle. Was der in seinem Leben wohl schon alles gemacht hat. Von ihnen war bekannt, dass sie in Bereitschaft standen und großen Einfluss hatten. Er war kein hässlicher Mann, mit seinem ergrauenden kleinen Schnurrbart. Zu schöne Lippen. Unangenehm, wie unangenehm, mit so einem fahren zu müssen, grübelte sie, als zupfe sie in ihrem Gedächtnis vorsichtig an den vertrauten Saiten der Angst.
Oder doch ein Pfeilkreuzler.
Zum Krankenhaus in der Kútvölgyi-Straße, bitte, sagte sie mit einer ganz anderen Stimme, so, als lasse sie die offizielle Mitteilung durch die Nase heraus.
Der fröhliche Blick des Chauffeurs verriet keinerlei Regung. Es war spürbar, dass er diesen Ton nicht einfach akzeptieren wollte.
Er fragte, ob die Fahrt dort ende.
Die von seinen Augenwinkeln ausgehenden Fältchen strahlten über sein Gesicht.
Jawohl, ertönte Frau Ernas unfreundlich knappe Antwort, und um diesen unpersönlichen und penetranten Blick nicht mehr sehen zu müssen, wandte sie sich ab.
Der Chauffeur ließ den Motor an, der Wagen entfernte sich vom Gehsteig, überquerte den Platz, aber die Spannung zwischen ihnen blieb, er musterte im
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