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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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beobachtete die junge Frau, ob sie sich nicht heimlich vollfraß, ob nicht Pseudoaskese und Heuchelei im Spiel waren, aber nein.
    Man wäre ja so gern unfehlbar. Frau Erna aber konnte sich nicht enthalten, kräftig zuzugreifen, besonders bei den Saucen, die gewürzten Bratensäfte liebte sie, von den Knochen die Flechse abnagen, die Hühnerknochen aussaugen, mit frischem Brot das geronnene Bratenfett auftunken oder mit der knusprigen Brotkruste die gelbe Sahne von der Sauermilch löffeln, und die vielen süßen Güsse, die Vogelmilch.
    Ihre Neugier ging ziemlich weit. Sie wollte das Rätsel dieser entschiedenen Askese lösen. Und erfand allerlei Vorwände, um immer wieder die Tür des Schranks zu öffnen, in welchem Gyöngyvér nach ihrem Einzug im Handumdrehen ihre Habseligkeiten versorgt hatte. Zu Ilona sagte sie, sie solle ruhig weiterbügeln, sie mache dann schon Ordnung. Ilona hob stumm die Schultern und zog hinterrücks Grimassen, weil sie nicht wusste, was sie von Frau Lehrs unerwartetem Eifer zu halten hatte. Der aus dem Schrank strömende unbekannte Duft zeugte von beinahe qualvoller Sparsamkeit, wie ihr biegsamer Körper. Und da Frau Erna es nicht einmal, nicht zweimal tat, sondern mehr oder weniger regelmäßig kontrollieren ging, als müsse sie im Auge behalten, was mit Gyöngyvérs Sachen passierte, begann auch Ilona zu ahnen, was die Hausfrau da trieb.
    Gyöngyvér hatte irgendein kleines Parfüm angelegt, und doch musste Frau Erna anerkennen, na, da hat sie aber genau getroffen. Eine fast zu schwere Süße durchzog den Duft, der insgesamt trotzdem eher trocken war, herb, und auf ihrer Haut wirkte, als komme die Süße von verdörrenden Sommergräsern und getrockneten Gewürzen. Der Duft passte vollkommen zu ihrer körperlichen Beschaffenheit, so wie ihr Kleiderstil. Das war das Verrückte an ihr, und bestimmt war auch ihr Sohn davon betört.
    Frau Erna spürte das Pochen ihres Herzens an der Halsschlagader, sobald sie die Tür dieses Schranks aufmachte. Sie durfte das durchaus, ihr Sohn hatte ja hier seine Hemden. Und wenn sie auch spürte, dass sie ihrem Herzen mit einer von so tief heraufwallenden Erregung schadete, und auch die ganze Situation für lächerlich hielt, tat sie es trotzdem. Wenn sie nicht in dem Kleiderschrank kramte, dann zwischen Gyöngyvérs Schuhen, draußen im Flur.
    Gyöngyvérs Füße, so wie überhaupt ihr trockenes Wesen, hatten keinen Geruch.
    Eher nur zu ihrer eigenen Beruhigung sagte Frau Erna zu Ilona, sie finde das oder jenes nicht.
    Sie latschte ihre Schuhe auch nicht aus, ihre hübschen Füße erfüllten Frau Erna mit besonderem Neid.
    Sie ließ den gewölbten silbernen Deckel der flachen Bonbonniere aus Kristallglas, in der Gyöngyvér ihren billigen Modeschmuck und ihre paar ärmlichen Preziosen aufbewahrte, hochklappen. Und betrachtete diese dürftigen kleinen Stücke, die Gyöngyvér wohl von früheren Liebhabern erhalten hatte. Die Schalen abgeworfener Leben. Die schöne Bonbonniere gehörte zu den Gegenständen, die Frau Erna in der Nacht vor der Inventaraufnahme für die Versteigerung aus dem Schloss ihres Großvaters in Jászhanta hatte retten können. Sie stocherte mit dem Finger darin herum und schmunzelte beschämt, dass ihr Sohn, geizig und pfennigfuchserisch wie er war, diese ärmliche kleine Sammlung bestimmt nicht vergrößern würde. Aber sie nahm nichts heraus, kein Stück war so, dass sich ein näherer Augenschein lohnte.
    In der Tiefe ihrer Seele hätte sie doch gern eine Schwiegertochter gehabt, sogar eine solche. Bloß nicht so hohlköpfig. Doch sogar in dieser Ablehnung lag eine gewisse Lust.
    Ein körperliches Gefühl, als erlebe sie die geheimen Freuden ihres Sohns, oder würde sie zumindest verstehen.
    Wie sie auch jetzt wieder mit dem hübschen Hütchen ihre hässliche Stirn geschickt verdeckt hat.
    Gyöngyvér hatte wirklich keine vorteilhafte Stirn. Sie war gewölbt und gar nicht unproportioniert, aber das Haar wuchs auf unglückliche Art in sie hinein, und damit war tatsächlich nicht viel anzufangen. So viel Stil hatte die Stirn eben nicht, dass sie Fransen daraufkämmen konnte. Natürlich entging es Frau Ernas Aufmerksamkeit nicht, dass sie es zuweilen trotzdem versuchte. Die dunklen Strähnen des dicht in die Stirn wachsenden Haars ließen ihr Äußeres wild erscheinen, und wahrscheinlich versuchte sie es gerade deswegen mit kosmetischen Eingriffen, sie riss die überflüssige Haare mit Wachs aus, worauf aber, sobald die gewaltsam

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