Parallelgeschichten
verursachten blutigen kleinen Krater verheilt waren, frische Triebe erschienen.
Ein schwarzer Schatten auf ihrer Stirn.
Sie sehnte sich nach Zartheit, Zärtlichkeit, Empfindlichkeit, sie tat heikel und empfindsam, und was die kleine Gans nicht erreichte, es sei denn durch Zufall, dem versuchte sie sich mit ihrer Erscheinung anzunähern. Ihr Stupsnäschen verriet ja sofort und endgültig, wie viel Intelligenz das kleine Findelkind abbekommen hatte. Was Frau Erna mit um so größerer Befriedigung erfüllte, weil sie von der physischen Anziehung, die die junge Frau auf sie ausübte, zuweilen so verwirrt war, dass sie sich ihr gegenüber gröber, abweisender oder auch grausamer verhielt, als ihr eigener guter Geschmack eigentlich erlaubte.
Das alles hatte eine weniger gewöhnliche, schattigere Seite, eine intimere Landkarte. Frau Erna war noch ein kleines Mädchen gewesen, als sie diese vorgezeichnete Karte in sich entdeckt hatte.
Sie waren in der Kalesche vom Schloss in Jászhanta weggefahren, vielleicht in Richtung der Station, und bogen gerade in die Ulmenallee ein. Die Allee war beim Bau des hübschen Schlösschens angelegt worden, Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. Seither waren die Bäume ansehnlich geworden, oben sogar schon etwas ausgedünnt, und sie konnte durch die hohen Kronen den reinen Sommerhimmel sehen.
Für einen langen Augenblick legte sie ihre behandschuhte Hand auf Gyöngyvérs behandschuhte Hand, ganz sachte. Doch die Berührung, kaum hatte sie stattgefunden, erhielt ein Gewicht, als hätte die andere Hand auf sie gewartet. Als sollten sich die Hände umeinanderschlingen.
Gyöngyvér, mein Töchterchen, hätte sie sagen wollen. Wenn sie es ausspräche, und schon der Gedanke nahm ihr den Atem, wäre es nicht nur geheuchelt, sondern man könnte es auf vielerlei Arten missverstehen, und so würde sie bloß eine neue unmögliche Szene der üblichen Verstellerei aufführen. Obwohl sie es im Augenblick wirklich dachte. Das Fehlen ihres eigenen Töchterchens drängte sich in ihr Bewusstsein, und mit ihr das Schuldgefühl. Sie war schon ein großes Mädchen gewesen, als sie verschleppt worden war, sie haben mir mein Töchterchen im ersten Universitätsjahr verschleppt, da trug sie noch dicke Zöpfe. Während zweier entsetzlicher Wochen hatten sie alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sie von der Gestapo in der Melinda-Straße zurückzubekommen. Alle Hebel vielleicht doch nicht. Ihr Bild legte sich ein wenig auf Gyöngyvérs erwachsenes Äußeres, sie selbst hatte nicht die Zeit gehabt, zur Frau zu werden.
Sie hatte nie kennengelernt, worin dieses dumme Weib mit ihrem Sohn schwelgte. Vielleicht besser so.
Aber sie konnte es nicht verzeihen, weder sich noch anderen.
Und ganz besonders konnte sie es dem Sterbenden nicht verzeihen. Sie war in jedem Sinn seine Tochter gewesen, trotzdem hatte er sie nicht gerettet.
Was durch die behandschuhten Hände hindurch zwischen ihren Körpern strömte, war nicht unbedingt Mutterliebe. Wenn man den Stromkreis so einfach schließen könnte, dachte sie plötzlich. Er war vorhanden, die Frau gehörte ja zu ihrem Sohn, und sie musste schon von Amts wegen, als Mutter, etwas von dem empfinden, was für ihren Sohn an dieser Frau attraktiv war. Es glich auch nicht dem Gefühl, das sie Männern gegenüber schon seit geraumer Weile nicht mehr empfand.
Mit der Zeit hatten sich die Proportionen ihrer Bedürfnisse verändert. Sie würde das Gedächtnis ihrer eigenen Tochter entehren, wenn sie diese fremde Frau mein Töchterchen nennen würde. Vielleicht war auf jener Landkarte schon eingezeichnet, dass sie doch verleugnen musste, was sie als kleines Mädchen durch die Baumkronen der Ulmen hindurch am Himmel gesehen hatte.
Immer, ewig, bis zum Tod musste sie diszipliniert bleiben, umsonst die Frage, warum man nicht wenigstens noch ein einziges Mal den Kopf verlieren dürfte. Die Hand der anderen Frau, die erregt war von den vielen Empfindungen, erbebte, Frau Ernas kleine, fältchenumgebene Lippen erzitterten ebenso. Hilflos und hungrig, den Blick der anderen meidend und suchend, sahen sie sich an, während der Wagen unter dem Geprassel des Regens über die leere Ringstraße raste.
Ich weiß nicht, wie sich der Nachmittag entwickeln wird, sagte Frau Erna schon wegen des Chauffeurs ganz leise, wobei sie die behandschuhte Hand der jungen Frau drückte. Der Chauffeur, den sie, mit seinem eigenartigen Gesicht und seiner ansehnlichen Gestalt, nirgends hintun konnte, beobachtete sie
Weitere Kostenlose Bücher