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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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das Glück hatten, keine Angst zu haben, dass er am Ende auf nichts anderes aufmerksam war.
    Sie unverhüllt sehen, damit es nichts gab, was er von ihnen nicht wusste, das wollte er, dabei ertappte er sich.
    Jeder einzelne Mann erregte ihn.
    Ich bin ein billiger kleiner Lügner, dachte er erschrocken, bin es schon immer gewesen, hauchte er halblaut an die Fensterscheibe, während er sich nur danach sehnte, über die Ringstraße zu gehen und die Frau dort anzureden. Vielleicht hatte ihn das so erschreckt, dass ihm jemand, plötzlich, eine Unbekannte, einfach bloß mit ihrem Dasein Lust verschaffen konnte. Eine, für die er sonst nichts fühlte, die er nicht liebte, wie auch, da er sie ja nicht kannte, aber in die er verliebt war. Aber wie kann man dann verliebt sein. Man will sie haben. Und das also wäre die hochgepriesene Liebe. Nicht nur ich, alle sind egoistisch, verlogen, gemein.
    Auch Nínó, alle, alle Frauen sind Verräterinnen, geborene Verräterinnen.
    Mit solchen Sätzen ließ sich aber sein eigener Verrat nicht relativieren, kaum hatte er laut gesagt, dass er nicht wolle, dass er genug habe vom Tod, beschwor er noch mehr von dem herauf, was er lieber vergessen hätte.
    Als schreie es in ihm, wieso hast du Nínó mit dieser anderen verdammten Kuh gehen lassen, warum bist du nicht selber mit ihr gegangen, doch die Frage bedeutete eigentlich, warum ist dein Leben so elend. Er konnte sich noch lange wehren, der Tod griff durch die Hand seiner Tante nach ihm. Er konnte sich noch lange herausreden, dass der Tod dieses alten Nazi Nínó genauso egal war wie ihm und es ihr bloß um das Erbe ihres widerlichen, grausamen Söhnchens ging.
    Wahrscheinlich ist es nur Sehnsucht, Illusion oder billige Berechnung, wenn man sich vormacht, dass es zwischen den Menschen Beziehungen gibt, die länger als einen Augenblick dauern. Allesamt grunzende Schweine. Und das wollen sie dann Liebe nennen, wenn sie sich grunzend in der Pfütze suhlen, das soll man höher halten als alles andere.
    Ich gehe nicht mit. Nirgendhin. Nein.
    Er mahlte noch an diesen Wörtern, nachdem die Eingangstür schon eine Weile hinter den beiden Frauen zugefallen war und in der Wohnung endlich völlige Stille herrschte.
    Ilona rührte sich nicht, wobei ihre Gegenwart oder Abwesenheit sowieso nicht zählte. Er blickte durch sie hindurch, als existiere sie gar nicht. Auch Ilona war für ihn wie alle anderen Menschen eine geborene Verräterin. Eine geborene Bedienstete, eine sich prostituierende Person, die ihr eigenes Schicksal nicht in die Hände nehmen konnte, sondern es an andere vermietete.
    Wieder lehnte er die Stirn gegen die Fensterscheibe. Die Gewichte des Himmelsgewölbes zogen leuchtend über den dunklen Gehsteig.
    Nirgendhin, verstehst du, nirgends. Er musste bei sich Nínó überzeugen, dass er recht hatte.
    Ich gehe nicht.
    Unten wartete immer noch das bestellte Taxi.
    Was machen die so lange im Treppenhaus. Als hätten sie vergessen, dass sie sich beeilen müssen. Ilona lag im hintersten straßenseitigen Zimmer aufs verlassene Sofa des Professors gesackt und weinte. Jetzt durfte sie ruhig ihr eigenes kaputtes Leben beweinen. Es tat ihr gut, das eigene dünne Winseln zu hören.
    Unten vor dem Haus hasteten die beiden Frauen zum Wagen, gegen den Wind gestemmt. Darauf hatte er gewartet. Nirgends ein Mensch, so weit das Auge reichte, die Ringstraße war leer, leer das Oktogon. Sollen sie gehen. Ich gehe nirgendhin. Mit diesen sinnlos gewordenen erregten Wörtern verabschiedete er sie, obwohl es auf der Hand lag, dass er sich vergebens belog. Nirgendhin. Sobald sie verschwunden wären, würde er den Mantel nehmen und gehen. Er brauchte auf nichts mehr zu warten. Endlich war er frei. Er wollte es riskieren. Eigentlich fiel es ihm schwer, den Sterbenden ein altes Nazischwein zu nennen, aber es befreite ihn. Er brach mit seiner Familie.
    Endlich konnte er für sich aussprechen, dass er mit ihnen brach, dieses Wort bestärkte ihn in seiner Rebellion, danach gab es kein Zurück mehr, das sah er jetzt.
    Die jüngere Frau legte sich förmlich in den Wind, lief seitwärts, lehnte sich dagegen, die ältere schien sich mit dem ganzen Körper zu wehren, gekrümmt, sich selber schützend eilte sie vorwärts. Beide trugen einen Hut. Gyöngyvér ein kleines steifes Hütchen, eine mit ein paar Spitzen verzierte Schachtel, die man
pillbox
nannte, Frau Erna einen weichen, flauschigen, breitkrempigen großen Hut.
    Der Wind wechselte fortwährend die Richtung, brach

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