Paranoia
nicht immer zu aufgelegt. Vor allem wenn ich schon etwas müde bin, ist mir Ben mit seiner unerschütterlichen Energie oft ein bisschen zu viel. Mit zwei großen Schritten steht er (A-Mensch, triple A) vor mir und lacht mich an, mit ultraweißen Zähnen, die man nur hat, wenn man eine solariumbraune Haut vorweisen kann. Seine Haare sind etwas durcheinander, auf diese gewollte Art. Aber der Anzug, Hut ab, feinster Zwirn.
Ich beiße mir auf die Lippen – nicht schlucken, ein Königreich für einmal schlucken –, beuge mich vor und lächle wölfisch. »Gerade dich geht es ja schon mal gleich überhaupt nichts an, wo dein Vorgesetzter war, du Furzkissen.« Daraufhin sehe ich ihn an, als müsste er gleich damit rausrücken, wo ich zum Teufel noch mal war, und fahre fort: »Ich habe heute ewig lang auf dem Düsseldorfer Flughafen gesessen und konnte nicht mal rumtelefonieren, weil mein scheiß Akku leer war. Und dabei hatte ich eine Eingebung: ein Ladeservice mit allen verfügbaren Akkumodellen! Das wär’s. Ein Stand mit allen Ladekabelformaten. Wahnsinn, oder? Genial. Es gibt noch so vieles, das es nicht gibt. Die besten Erfindungen harren nach wie vor ihrer Erfindung. Eigenzitatende. Hast du das? Die besten Erfindungen harren noch ihrer Erfindung! Schreib das mal auf. Für die Nachwelt. Esther war übrigens gerade hier und …«
»Ich weiß, ich habe sie noch auf dem Gang getroffen. Unseren kleinen Trockenkrümel. Aber Moment mal, was hast du denn in Düsseldorf ge…«
»Ah, verstehe. Bist du bereit für Wien morgen?«, würge ich ihn ab. Ein düsteres Geheimnis mehr.
»Yes, Sir! Für den A. L. I.-Auftrag gehöre ich ganz dir. Übrigens, Grande Monsignore Lutz wollte dich sprechen. Hat dich heute auch nicht erreicht. Hat’s dann bei mir versucht. Er wollte nur noch mal auf die Bedeutung des morgigen Meetingshinweisen, irgendso was in der Art. Ist das so schwer, sein Handy an zu haben, du Trottelbacke?«
»Sag mal, hast du mir gerade nicht zugehört? Akku? Leer? Leer? Akku? Akku leer?«
Ben bewegt sich rückwärts schon wieder auf die Tür zu, ein kurzes Gastspiel ankündigend, und sagt: »Ja, ja, hab ich vernommen. Kein Problem. Der Alte erwartet uns erst Montag zum Appell, um sich Bericht erstatten zu lassen. Bis dahin ist er in, äh Singapur, glaube ich. Nicht erreichbar, hat er gemeint. Nicht erreichbar! Was soll das denn heißen? Ist der in einem unterirdischen Puff ohne Empfang zugange, oder was? Na egal. Wollt ich dir eigentlich nur noch ausrichten. Bin auf ’m Sprung, bin schon weg. Hab ein Date mit Annabelle!« Er furcht die Stirn. »Annabelle, mein Aufriss der Woche. Prollmaus, von der Kasse vom Schlecker-Markt unten neben der Bäckerei. Hast du bestimmt schon gesehen. Sagt, sie steht auf Schlipstypen.« Seine Stimme wird zu einem verschwörerischen Bariton. »Kann sie haben.« Er greift an seinen Prince-Albert-Krawattenknoten und rutscht kurz daran herum. Hinterlässt ihn weniger mittig. »Das wird scharf, schärfer, am schärfsten. Sieht aus wie ne Pornodarstellerin.«
»Wäre dieses Jahr dann schon deine persönliche Pornodarstellerin Nummer 27, oder?«, sage ich beifällig. Aus dem Hut gezauberte Phantasiezahlen sind immer ungerade.
Es ist Ben, der spricht: »27? Mindestens, wenn nicht 53, mein Bester!«
»Angeber!«
»Auf dass die Kleine mal volljährig sein mag. Die mach ich jetzt noch klar, abfüllen, drüber – so was hat die noch nicht erlebt. Hat solche …«, er jongliert zwei imaginäre Melonen vor seiner Brust. »Prall und straff. Fest und stramm –
Oh sweet sixteen
«, singt er an und verzerrt sein Gesicht.
»Ganz offensichtlich, für diese Aufgabe bedarf es keines Geringerenals jemanden, der über jene unbeschreiblich feine Subtilität verfügt, die sich so untrennbar mit deinem Namen verbindet, du speicheltriefende Saftsocke«, sage ich so dahin. Ben knirscht leise durch die Zähne »Fürwahr. Hey, solche Dinger«, macht dabei noch mal die Melonennummer, den Griff seiner Aktentasche aus handtamponiertem Leder noch fester unter den Arm geklemmt. Gott, ist der heute drauf.
»Wir gehen jetzt noch erst was trinken. Komm doch mit! Vielleicht hat sie eine scharfe Freundin!«
»Ja, und die ist Regalauffüllerin bei Lidl. Nein wirklich: toller Vorschlag, sonst gern, aber ich hab leider, leider keine Zeit«, sage ich mit treuherziger Stimme und schüttele den Kopf. Ich begeistere mich nicht für junges Gemüse.
»Unsinn, komm jetzt, lass uns gehen, das ist doch gar keine schlechte
Weitere Kostenlose Bücher