Paranoia
junger Kerl, der nur zu gern da wäre, wo ich bin.
Menschen wie ich kommen mit Menschen wie mir nicht gut aus.
Das Großraumbüro erstrahlt im Glanz abscheulicher Neonleuchtröhren. Das berührt mich nicht. Alle sitzen an ihren Arbeitseinheiten. Zeit zu handeln.
Ich gebe ein Zeichen und einen Laut von mir. Also, ich schnalze. Meine zwölf Leute erheben sich von ihren Plätzen und folgen mir zu dem großen Sitzungstisch im angrenzenden Konferenzraum. Ich rufe Steves Vornamen, was soviel heißt wie, er möge mit Tagesordnungspunkt eins beginnen, dem Vortrag seines Zwischenberichts.
Jemand öffnet ein Fenster. Ungefragt. Frischluft macht mich nervös. Ich mache ein ungehaltenes Was-soll-das-denn-Gesicht,stehe sofort auf, mit Ich-packe-selbst-an-Gesicht, und schließe das Fenster demonstrativ. Dann mache ich ein Muss-man-denn-alles-selber-machen-Gesicht. Ist angekommen.
In dem Konferenzraum, in dem wir uns gerade befinden, werden wir auch unsere Präsentation morgen vornehmen. Regel Nummer eins: für Meetings, den Kunden aus seinem Büro ins eigene Revier locken.
Steve bringt in vier Minuten alles Wesentliche auf den Punkt. Ich suche vergeblich nach Lücken in seiner Argumentation. Die könnten wir uns morgen vor Marischka auch nicht leisten.
»Ausgezeichnet. Danke, Steve, hervorragend«, sage ich, die Dose in der Hand, kippe meinen Stuhl zurück und schaukle ein wenig hin und her. Ohne rechte Lust darauf, schmeckt Red Bull irgendwie anders.
»Was deine Festlegung der Eckwerte bei der Implementierung betrifft«, ich verstumme, um größere Wirkung zu erzielen, »leg dich bitte morgen bei der Präsentation zahlenmäßig nicht fest, lass das offen. Sonst laufen wir Gefahr, dumm dazustehen, wenn die sich einbilden, unser Analysesystem auseinandernehmen zu müssen. Glaube zwar nicht, dass sie das tun werden, aber sicher ist sicher.« Man hängt an meinen Lippen.
»Ach ja, noch was zu Wladimir Premrow! Ich glaube, auf den können wir nicht zählen, der lässt sich nicht auf unsere Seite ziehen. Aber er ist für die Vergabe ein wichtiger Entscheidungsträger. Also, Steve«, ich schaue Steve eindringlich an, »check seine Abteilung noch mal durch. Bring mir alles, was wir gegen ihn verwenden können. Irgendwelche Unstimmigkeiten in seinem Team oder im Aufgabenbereich, Animositäten, Gerüchte, was weiß ich. Da wird sich schon was finden lassen. Bis morgen muss ich etwas in der Hand haben, um ihn bei Bedarf kaltzustellen. Alles klar?« Man kann nie genug überdie Leute wissen, mit denen man arbeitet. Ob Freund, ob Feind. Jeder hat seine Achillesferse, und es ist so meine Art, die aller Menschen um mich herum zu finden und mir gut zu merken. Immer die eine oder andere vertrauliche Information in der Hinterhand haben – ausgesprochen hilfreich. Steve nickt, er weiß Bescheid, was zu machen ist. Er kennt die Suchkriterien zur Schädlingsbekämpfung. Er ist schließlich Katholik.
Wir fahren mit dem Meeting fort. Wenn ich mich umsehe, erkenne ich kollektiv den Du-bist-der-Boss-Ausdruck auf den Gesichtern der Ritter meiner Tafelrunde. Ich hasse ihre Gefügigkeit und inhaliere sie zugleich. Mir stehen siebzehn Assistenten zur Verfügung, die ich über eine Londoner Headhunterin rekrutiert und höchstpersönlich ausgewählt habe. Jeder für sich genommen ein Ass. Aber ich muss höllisch aufpassen. Es kann allerhand schiefgehen mit einem nicht eingespielten Team. Noch dazu in solch ungewohnter Umgebung. Deshalb, Top-Leute hin oder her, du kannst trotz strengster Auswahlkriterien nie sicher sein, wie sich jemand während eines Jobs entwickelt. Und nichts entgeht meiner Wachsamkeit.
Ich stopfe meine Krawatte in die Jackentasche und klappere dabei alle zum tausendsten Mal mit meinen Blicken ab.
Die Hände der gutaussehenden Clara Henkel, die neben Steve sitzt, zittern, und sie versucht es zu verbergen. Man entwickelt ein Näschen für vom Stress dauerkranke Weicheier, die in der Oberliga nicht klarkommen. Ich werde sie im Auge behalten.
Ebenso wie Wolfgang von Thielen. 49 Lenze. Notiert sich nen Wolf, kratzt ständig seine schuppenflechtige Neurodermitis an der Nase und schwitzt. Ein Tropfen, vielleicht Angstschweiß, zittert auf seiner schorfigen Nasenspitze. Sein Wasserglas enthält ein wenig zu offensichtlich nur Wasser. Getreu dem Motto: Wenn dich niemand saufen sieht, bist du auch kein Alkoholiker. Er hat schon zu viele Jahre auf dem Buckel,um noch richtig mitmischen zu können. Ein verbrauchter Ackergaul, der seinen
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