Paranoia
gebe zu, meine gnadenlose Härte mir selbstgegenüber erfüllt mich zumindest mit einer Art verächtlicher Befriedigung.
Ich tippe weiter an meinem Ivan-Gesprächsprotokoll. Geschreibsel. Meine Entlassungsempfehlungen muss ich ja auch jeweils in einem Zwanzigzeiler begründen.
Gedämpft höre ich, wie sich die berüchtigte Maschinengewehrlache meinem Büro nähert. Karl Josef Marischka, KJM, der große Chef, klopft kräftig an und steht schon vor mir. Ich fahre mit dem Cursor über das kleine Diskettensymbol und klicke, um zu speichern.
»Ihre Leute sind bereits im B-Trakt, habe ich gesehen«, sagt er ohne Einleitung. Viel Energie, wenig Zeit. Er streicht sich durch seinen buschigen Schnurrbart und postiert sich in der Mitte des Zimmers. Sudetendeutsche Abstammung, Privatjetbesitzer, 64, weitgehend kahlköpfig und robust. KJM ist der Typ, dem jeder Raum gehört, in dem er sich gerade befindet. Ihn umweht die souveräne Arroganz des Kapitals und die Selbstverständlichkeit derer, die daran gewöhnt sind, ihren Willen zu bekommen. Im Schlepptau sein Sohn, der unter der väterlichen Dominanz kläglich leidende Junior-Chef, sowie zwei Assistenten, unter der großherrschaftlichen Strenge aufblühende Rosettentaucher.
Ich entgegne: »Guten Morgen. Ja, ich hoffe, wir stören dort niemanden?«
»Habe ich das gesagt?«, schmettert Marischka mir gereizt entgegen, durch gewaltigen Reichtum und Macht der alltäglichen Beschränkungen des gesunden Menschenverstandes längst entledigt, frei von den Prinzipien empfohlener Umgangsformen. So, als sei bereits ein Minimum an Manieren und Einfühlungsvermögen ein Anzeichen mangelnder Durchsetzungskraft. Sein Sohn zuckt zusammen, wie immer, wenn sich sein Vater aggressiv unfreundlich verhält, und starrt mich aus weit aufgerissenen Augen an. Ohne zu antworten, schüttleich verhalten den Kopf, in stiller Weißglut. Jede Faser meines Körpers ist durchdrungen von tiefer Übersättigung an Demütigung. Die Assistenten lachen, ernst schauend, in sich hinein. Schadenfreude. Sie kommen rüber wie Anstandswauwaus. Aalglatte, ehrerbietige Schleimer und verklemmte Steigbügelhalter, die grundsätzlich lieber nichts sagen. Aus Erfahrung weiß ich: Vorsicht, stille Wasser.
»Sie kommen also gut voran?« Marischkas Stimme ist nicht laut, sie ist durchdringend. Ich liebe diesen rustikalen Ansatz (ja, ich hasse ihn), bloß keine Zeit verschwenden. Man hat das Gefühl, der Subtext bei allem, was er sagt, laute »Stillgestanden«. Nicht umsonst wird er hinter seinem Rücken »Der General« genannt. Er tut so, als bekäme er es nicht mit. In Wahrheit schmeichelt es ihm. Ich nicke und sage, mit einer Prise entwaffnendem Enthusiasmus: »Morgen können wir die ersten Auswertungen gemeinsam durchgehen. Bis heute Abend sind wir durch mit unserer ersten Phase und den Matrix-Sequenzen.« Sir, ja, Sir.
An meiner Nasenspitze ist es feucht und braun. So ist das. Eben wurde mir noch in den Arsch gekrochen, und jetzt bin ich dran. Das hört nie auf, egal, in welcher Position du bist. Vor irgendjemandem musst du immer buckeln, irgendjemandes Gunst musst du immer sicherstellen. Und das ist hier besonders ratsam. Wie sollte es auch anders sein, auch KJM hat bereits vielfach schlechte Erfahrungen mit Consultern gemacht. Ich möchte keine Namen nennen. Auf die großen Namen der Branche hat er keine Lust mehr, die haben viel verbrannte Erde hinterlassen und noch mehrere Millionen mitgehen lassen. Abgezockt. Eigentlich ist er mittlerweile allergisch auf Berater. Es könnte sein, dass ich sein letzter Versuch bin, einen externen Consultant hinzuzuziehen. So weit hergeholt es klingen mag, glaube ich, dass dies mit mir persönlich zu tun hat. Denn trotz Marischkas herablassender Artverspüre ich ein Quäntchen Zuneigung. Diese könnte in Richtung »der Sohn, den ich nie hatte« gehen. Sein Sprössling scheint ihm selbst nämlich eindeutig vernachlässigenswert. Karl Josef Marischka also in: »Der Vater, den ich nicht wollen würde.« Ab Donnerstag im Kino.
»Wenn Sie noch Personal brauchen, lassen Sie es Premrow wissen.«
Er zeigt auf den jüngeren der beiden Lakaien an seiner Seite, dessen sklavische Duckhaltung ihn zu einer ermüdend substanzlosen Figur macht. Premrow! Mit seinem verunstalteten Mund, einer mangelhaft operierten Hasenscharte. Er sieht mich voll perfekt verstecktem Abscheu an. Premrow ist der Schlimmste. Er möchte meine Arbeit mit allen Mitteln sabotieren. Wir beschränken direkten Kontakt auf das
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