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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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unwesentlich ruhigeren Bereich, in der vierten Nische rechts, wenn man vom Eingang hereinkommt. Bei meinem dritten Gin Tonic (der nach Chlor schmeckt). Sie spricht mich an. Ob hier noch frei ist. Sie nimmt ungeschickt auf dem Stuhl gegenüber Platz. Die Konversation ist ein Tiefpunkt in der Geschichte der Kommunikation.
    Ich frage sie, woher sie kommt. Sie nennt einen Ortsnamen (ein Kaff) und sagt nicht automatisch dazu, wo das ungefähr liegt. In der Nähe welcher größeren Stadt? Ich muss nachfragen. Und erfahre dabei: Sie kommt nicht aus dem Taunus, sondern aus dem
schönen
Taunus.
    Ich frage sie, was sie so macht. Sie sagt, sie studiere und sagt nicht automatisch dazu, was sie studiert. Ich muss nachfragen.
    Vernünftig wie eh und je, beschränke ich mich auf das, was von mir erwartet wird. Ich frage nach. Beiläufig, in nichtssagendem Tonfall. Und zerknülle dabei eine Serviette.
    Als sie mich danach fragt, erzähle ich ihr, was ich hier in diesem Nest mache. Niemals würde ich eine Auskunft verweigern. Sie sagt »wow!« und findet es mehrere Minuten total geil, weil sie »jemanden« kennt, der auch so was macht. Nämlich Consulting-cool-krass-wow. Anscheinend ist dieser Jemand gut situiert, und das wiederum scheint sie feucht zu machen. Sie lässt nicht locker und sagt noch mal »wow!«. Ich würde es wirklich vorziehen, wenn sie nicht so beeindruckt von meinem Job wäre. Diese lächerliche Bewunderung! Im Büro nennen wir solche Frauen Business-Men-Schlampen. Weiber, die nur auf Geschäftsleute stehen und bei denen Männer ohne Krawatte und teure Schuhe keine Chance haben. »Wow« also. Ich gebe mir etwas Zeit, um diese Information zu verarbeiten. Sehe in der Düsternis einer Sitzecke gegenüber vereinzelte Glutpunkte von Zigaretten aufflammen. An unserer Nische gehen ein paar Gäste vorbei, breitspurig und hilflos zugleich, wie man es bei Clubbesuchern so häufig beobachten kann.
    Dann setze ich es fort, unser dumpfes Frage-Antwort-Spielchen. Möglicherweise lohnt es sich ja. Geistesgestörte Weiber vögeln meistens außerordentlich gut. Klar ist sie mir zu mädchenhaft. Aber das ist jetzt egal. Leichte Beute. C-Girlie. Warum nicht?
    Meine Stimme ist schon heiser, weil ich ihr ständig ins Ohr schreien muss. Ich frage: »Und was führt dich hierher?«
    »Du, ich bin hier als Au-pair bei einer total netten Familie, das is echt cool, die sind voll locker.«
    Jetzt sage
ich:
»Wow. Cool. Au-pair!« Was für eine Talentvergeudung. Au-pair, aha. Also Putz- und Kochsklavin für dieDame des Hauses und Lustobjekt für deren Mann. Und ausländischer Abschaum für die Kinder. Au-pair ist ein prima Konzept. Kein Wunder, der könnte ich auch was vom Leben auf dem Jupiter erzählen.
    Mit dem unverwechselbaren Mitteilungsbedürfnis dummer Frauen erzählt sie mir von ihrer letztjährigen Au-pair-Anstellung in Südafrika. Wohin sie unheimlich gerne wieder zurückkehren würde. Ich ahne, was jetzt kommt. Sie wird mir erst sagen warum, wenn ich mich danach erkundige. Also gut: »Und weshalb möchtest du wieder zurück nach Südafrika?«, frage ich, als ob’s wichtig wäre.
    Sie brüllt mir ins Ohr: »O weißt du, ich möchte lieber heute als morgen nach Johannesburg, weil dort der Lebensstandard so hoch ist. Weißt du, dort gibt es in jedem Haus mindestens vier Angestellte, weißt du. Das ist so angenehm. Köche, Putzpersonal, Chauffeur, Gärtner. Weißt du, das ist mit hier gar nicht zu vergleichen. Die Neger dort kosten ja fast nichts.«
    Oh.
    Klar.
    Kurze Stille. Von der pulsierenden Musik abgesehen. Pause. 3,14159 Sekunden Schockstarre. (Die Zahl Pi.) Einseitig. Sie lächelt, streicht über den Rand ihres Glases. Es ist beruhigend, dass nur mir auffällt, dass das hier jetzt irgendwie schräg ist. Na ja. Sag was. Vorsorglich, falls sie es doch anders gemeint haben sollte (auf welche Weise auch immer), tue ich für einen Moment ernsthaft amüsiert. Aber Entwarnung, sie meint das eins zu eins. Also bedeute ich ihr mit einer Handbewegung, dass sie recht hat. »Aha. Schön.« Ich nicke echt nett. Sie nickt echt nett zurück. Ich ahne, das ist nicht Dummheit. Das ist etwas anderes. Und genau das ist ihr ins Gesicht geschrieben. Ich füge noch ein »Mmh« an. Eigentlich genau die richtige Begrifflichkeit, um meinen grenzenlosen Respekt für diese Schlampe in Worte zu fassen.
    Wie zur Bestätigung meiner Gedanken flüstert sie mir im Verlauf ihrer sprudelnden Afrika-Schilderungen (es muss ihr dort
wirklich
gut gefallen haben)

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