Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
Vom Netzwerk:
dem Bildschirm zu.
    Ich denke ein oder zwei Sekunden darüber nach.
    »Das war witzig«, konstatiere ich und nicke lächelnd vor mich hin. »Das war wirklich witzig.« Ich schüttle grinsend den Kopf, als würde ich mich gar nicht mehr einkriegen, und rücke meine Krawatte zurecht. Und lockere mit einem routinierten Schlenker die Manschetten an meinen Ärmeln. Ich beiße in meine sorgsam offen gehaltene Wunde an der Innenseite meiner Unterlippe. Es tut verflixt weh. Blutgeschmack. Noch sechsundzwanzig Minuten bis zur Landung. Ich beiße noch mal rein. Es muss wehtun. Alles. Sonst gilt es nicht.
    Ein gleißender Lichtstrahl erregt meine Aufmerksamkeit, ist aber so schnell wieder weg, dass ich kurz glaube, ich hätte ihn mir nur eingebildet. Schiebe es auf meine klaustrophobischen Zustände. Ich bin heute so irrsinnig durcheinander, dass ich es mir nicht erklären kann. Ich weiß, da hilft auch kein weiteres Insidon. Also schüttle ich mir rasch eins aus der schmalen Dose in die Handfläche und schlucke es mit mühsam zusammengesammelter Spucke runter. Erst als es nicht richtig flutschen will, nehme ich noch einen Mundvoll aus der Wasserflasche. Das war meine letzte Tablette, mein Vorrat ist zu Ende. Es wird wirklich höchste Zeit, dass wir wieder nach Hause kommen. Ich drehe das Döschen um, ob vielleicht doch noch etwas herausfällt. Und dann bohrt sich ein blitzartiger Lichtimpuls in die mit einem Mal grellweiß erleuchtete Kabine. Einen Moment lang bin ich wie geblendet, von der Gegenständlichkeitdes so klaren Anblicks der Räumlichkeit. Ich erschrecke. Denke schnell. Schon im nächsten Augenblick überdeckt ein markerschütterndes Krachen jedes andere Geräusch. Es ist so gewaltig, dass man es eher erahnt als bewusst wahrnimmt. Eine Detonation. Sekundenbruchteile später fegt die monströse Druckwelle über unsere Köpfe hinweg. Mein Schädel wird an die Kopflehne gepresst. Sogleich fallen gelbe Sauerstoffmasken aus der Decke. Die Explosion hat ein fahrradreifengroßes Loch verursacht. Die ausgefranste Öffnung klafft in der Außenwand wie eine offene Wunde, gibt die Sicht auf die minusgradkalte Nacht frei. Schwarzes Schwarz, kaltes Kalt. Die Tupolew gerät ins Wanken, links, rechts, links, rechts. Der Boden gibt unter den Passagieren nach. Die Maschine neigt sich mit einem Mal vornüber und rast im Sturzflug unvermindert, mit sechshundert Kilometern pro Stunde rüttelnd auf die Erde zu. Verliert rapide an Höhe. Turbinen jaulen auf. Sofort: kollektives Heulen, ein unbeherrschbares Winseln vor Angst. Schluchzen, das nicht mehr aufhören kann. Panik. Die Armlehnen zittern unter den Ellbogen der Passagiere, sie halten sich daran fest und warten mit verkrampfter Anspannung sämtlicher Muskeln auf eine Entspannung der Lage. Adrenalinschübe. Die Sitzgurte ziehen sich straff und schneiden ins Fleisch. Knochen und Gelenke versteifen sich. Durchdringende Schreie, schrille Hilferufe des Entsetzens. Von einem der Triebwerke ertönt ein ohrenbetäubendes Brausen. Währenddessen rast das Flugzeug mit unvorstellbarer Geschwindigkeit weiter hinab. Unerträglicher, grausamer Lärm. Inferno. Der Alptraum nimmt kein Ende. Alle denken nur noch das eine: lebend hier rauskommen. Die einzige Hoffnung besteht darin, dass ein Wunder geschieht. Jeder Augenblick wird mit einem Mal zu einem Moment unwiderruflicher Vergänglichkeit.
    Conrad sitzt mit angezogenen Beinen da, empfindet ein Maß an Gleichgültigkeit, als hätte er das alles bereits durchlittenund dies wäre nur eine Rückblende. Eine Sinnestäuschung, die ihm nichts anhaben kann. Er erinnert sich, wie Pater Cornelius immer gesagt hat, es gebe keine Bedrohung, wenn man bereit ist zu sterben. Wenn man die Unausweichlichkeit des Endes bereits akzeptiert habe. Conrad hatte nie verstanden, warum Cornelius das immer gesagt hat.
    Er kann beobachten, wie ein Gepäckstück von irgendwoher durch die Luft fliegt und aus dem Flugzeug katapultiert wird. Durch das scharfkantige Sprengloch in der seitlichen Bordwand, wo eben noch zwei Fenster waren. Mehreren ungeheuren Schlägen folgt ein Pfeifen der japsenden Düsentriebwerke und schwillt an. Conrad gesteht es sich noch nicht ein, aber der Gedanke nähert sich: Bereite dich auf einen Abgang vor. Es ist Zeit zu sterben.
    Juhu.

33
    Nach wenigen Sekunden stabilisiert sich der Rumpf, die Maschine schwenkt wieder in die Horizontale. Die hysterischen Schreie der Passagiere verstummen wie auf Kommando gleichzeitig. Stattdessen beginnen sie zu

Weitere Kostenlose Bücher